Hansi Flick weiß: Bei seinem Bundestrainer-Debüt gegen Liechtenstein muss es gleich richtig rappeln. Väterlich legte er seinen Arm um Leroy Sanés Schulter. Serge Gnabry bekam einen Klaps auf den Hinterkopf. Auch für Timo Werner gab es eine persönliche Aufmunterung.
«Gut, Timo!», schallte es nach einem geglückten Angriff über den Trainingsplatz, auf den Flick seinen nur um Kapitän Manuel Neuer dezimierten Premieren-Kader am Dienstagnachmittag gleich noch einmal zu einer Sonderschicht und Taktikschulung versammelte.
Routinier Thomas Müller, Rückkehrer Marco Reus, Kai Havertz als einer der wenigen EM-Gewinner. Dazu noch das Teenager-Trio Jamal Musiala, Florian Wirtz und Karim Adeyemi. Flick hat bei der Nationalmannschaft neben den bei der EM unter Joachim Löw nicht gezündeten Turbokräften Sané, Gnabry und Werner ein Groß-Angebot an verheißungsvoller Fußball-Offensivpower. Und dem widmet er vor seinem Auftakt-Duell am Donnerstag (20.45 Uhr/RTL) gegen die drittklassigen Fürstentum-Kicker im schweizerischen St. Gallen große Aufmerksamkeit.
Mit Tempo nach vorne
«Entscheidend wird sein, dass wir unsere Spielidee durchsetzen», formulierte Flick die zentrale Aufgabe beim Neustart unter seiner Regie. Das heißt auch: schnell und vertikal nach vorne. «Wir wollen Tempo reinbringen», betonte Flicks Assistent und Trainingsorganisator Danny Röhl. Denn: «Sie können alle verteidigen», sagte Flick über Liechtenstein sowie die folgenden Gegner Armenien und Island in der WM-Qualifikation für Katar 2022.
«Ich glaube, dass wir gut aufgestellt sind. Wir haben viele Spieler, die gut pressen können, die bereit sind, ihre Meter zu machen», sagte der Dortmunder Reus bei seinem DFB-Comeback nach fast zwei Jahren. «Der Leistungsgedanke wird hier gerade neu geschrieben», sagte der 32-Jahre alte BVB-Kapitän über die Aufbruchstimmung unter Flick.
Er selbst habe nach vielen Verletzungen und langer Abstinenz noch «jede Menge» zu erledigen im DFB-Trikot. «Es könnte schon die letzte Chance sein, eine WM mitspielen zu dürfen», sagte Ilkay Gündogan (30), der wie Reus von Flick zu einer Fortsetzung der DFB-Karriere im Sommer in einem «richtig guten Gespräch» animiert wurde.
Neuer-Einsatz offen
Angesichts der Konzentration auf die Vorwärtsbewegung mit aktivem und temporeichen Offensivfußball kann Flick den Rehabilitationsprozess von Torwart Neuer relativ entspannt verfolgen. Die Nummer eins fehlte als einziges der 26 Kader-Mitglieder beim Training im Gazi-Stadion. Ein Einsatz gegen Liechtenstein ist offen.
«Belastungssteuerung bei bekannter Sprunggelenksproblematik», hieß es vom DFB zu Neuers erneutem Fehlen auf dem Übungsplatz. Die von Bayern-Trainer Julian Nagelsmann erst als «Pillepalle-Verletzung» bezeichnete Knöchelblessur wirkt offenkundig doch länger nach.
Ein Risiko wird Flick sicher nicht eingehen. Gegen Armenien und Island wäre ein Einsatz der unumstrittenen Nummer eins wichtiger. In München soll Neuer nach dem Länderspiel-Dreierpack für die dort anstehenden großen Aufgaben gegen RB Leipzig und den FC Barcelona auch gesund wieder ankommen. Kevin Trapp oder Bernd Leno stünden als Ersatz im DFB-Tor bereit. Beide legten unter dem neuen Torwarttrainer Andreas Kronenberg als erste auf dem Platz los.
Reus will Gas geben
Neuer ist bekannt ehrgeizig, er will auch nach 104 Länderspielen am liebsten immer im Tor stehen. Und die Premieren-Elf von Flick hat natürlich Symbolcharakter. «Wir versuchen, in den drei Spielen richtig Gas zu geben und einen neuen Schwung zu entfachen», sagte Reus. Auch er wolle «prinzipiell immer spielen», sagte der mit 32 Jahren älteste Feldspieler in Flicks erstem Aufgebot.
Die Hierarchie wird gerade neu geordnet. Die DFB-Elf gleicht unter Flick einem Mehr-Generationen-Haushalt. Hier die Ü-30-Fraktion mit Team-Oldie Neuer (35), Reus (32), Müller (31) und Gündogan (30). Dahinter die Confed-Cup-Sieger aus dem starken Jahrgang 1995/96 um Joshua Kimmich, Leon Goretzka (beide 26) und Werner (25). Und hinten dran die U-21-Europameister und Neulinge Adeyemi (19), David Raum (23) und Nico Schlotterbeck (21), die im Sommer bei ihrem Titelgewinn das zeigten, was der A-Elf bei ihrem Turnierscheitern fehlte: Teamgeist und Einsatz über das erwartete Limit hinaus.
«Die Jungs sind alle cool drauf», sagte der Hoffenheimer Raum nach seinen ersten Eindrücken. Zugleich ist er «froh, dass ein paar von der U21 dabei sind». Zu den Junioren-Champions gehört auch der Wolfsburger Ridle Baku (23), der im November 2020 noch unter Löw debütierte und nun mit seiner Altersgruppe zurück ist im A-Team. «Glücklicherweise sind einige Spieler hier, die belohnt worden sind, für ihre Leistung», sagte der Außenverteidiger mit Offensivdrang.