Auf den Besuch seiner Enkelkinder verzichtet Hermann Gerland beim Jahresabschluss der deutschen U21 lieber.
«Meine Tochter hat angerufen und gesagt, Papa, die Kinder wollen Dich wieder auf der Bank sehen», erzählte der neue Co-Trainer der U21, «aber ich habe gesagt, sie sollen nicht nach Ingolstadt kommen, sondern zu Hause bleiben und das Spiel im Fernsehen schauen. Die kleinen Kinder sind ja noch nicht geimpft.»
Vier Tage nach der 0:4-Lektion in der EM-Qualifikation gegen Polen strebt Fußball-Europameister Deutschland am Dienstag (18.15 Uhr/ProSieben Maxx) einen Sieg im nächsten EM-Qualifikationsspiel gegen San Marino an. «Aus negativen Erlebnissen lernt man mehr als aus positiven», sagte der 67-jährige Gerland. «Ich gehe davon aus, dass wir gelernt haben, dass das nicht noch mal passieren darf und in den nächsten Spielen in einer besseren Form sind.» Allerdings seien Leistungsschwankungen bei jungen Spielern auch normal.
Wechsel zum DFB nach Anfrage von Flick
Nach einem Vierteljahrhundert in verschiedenen Funktionen beim FC Bayern – unter anderem an der Seite von Jupp Heynckes, Louis van Gaal, Pep Guardiola, Carlo Ancelotti, Hansi Flick – ist die Münchner Kultfigur Gerland seit Ende September beim Deutschen Fußball-Bund im Amt. Nach dem Abgang von U21-Erfolgscoach Stefan Kuntz zur türkischen Nationalmannschaft und der Beförderung von Antonio Di Salvo zum Cheftrainer der Nachwuchsauswahl fragte Bundestrainer Flick seinen Münchner Weggefährten Gerland, ob er nicht zum DFB kommen wolle.
«Als der Hansi mich fragte, habe ich überhaupt nicht überlegt. Ich habe sofort ja gesagt», berichtete Gerland. «Mir macht es einfach Spaß, den jungen Menschen etwas beizubringen. Ich habe dem Fußball so viel zu verdanken, dass ich mein Wissen nicht einfach so wegwerfen will.» Mit «Riesenrespekt», wie Kapitän Jonathan Burkardt berichtete, lauschen die U21-Spieler dem Talentexperten, der an Weltkarrieren wie denen von Thomas Müller, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger oder David Alaba beteiligt war.
«Sein unbestreitbares Auge für Talente, seine geradlinige Persönlichkeit und sein besonderer Humor werden dem FC Bayern ebenso fehlen wie seine hohe fachliche und soziale Kompetenz», hob sein langjähriger Münchner Chef Karl-Heinz Rummenigge beim Abschied im Mai hervor.
Das alles bringt Gerland nun unter der Leitung seines früheren Spielers Di Salvo ein, der bei den Bayern-Amateuren einst eine Partie unter dem «Tiger» absolvierte. «Toni ist der Chef und ich versuche ihm, behilflich zu sein», beschrieb es Gerland gewohnt zurückhaltend.
Mehr Eins gegen Eins und Spielpraxis
Nach dem 0:4 gegen Polen, nur einmal verlor eine deutsche U21 höher, gab der gebürtige Bochumer seine Zurückhaltung aber auf, als es um die Situation der Talente in Deutschland ging. Als Fußballlehrer alter Schule schwört Gerland auf Dinge wie das Kopfballpendel und appellierte, in der Nachwuchsarbeit wieder mehr Wert auf das Dribbling zu legen.
«Das Spiel Eins gegen Eins muss sehr früh geschult werden, wir müssen Zweikämpfe und den Ball in den Vordergrund stellen», forderte Gerland. «Wir müssen den Spielern beibringen zu dribbeln. Wenn ich immer sage pass‘, pass‘, pass‘ und jedes Spiel mit zwei Kontakten mache, kann ich keinen Dribbler entwickeln.» Junge Fußballer bräuchten zudem vor allem Spielpraxis.
Gerlands Worte haben besonderes Gewicht, weil durch seine Schule eben auch spätere Weltmeister gingen. «Übung macht den Meister, das war vor 50 Jahren so, ist heute so und ist in 50 Jahren so», mahnte Gerland. «Bezeichnend war für mich ein Satz von Thomas Müller, als dieser schon Weltmeister war. Du, Tiger, eins muss ich Dir sagen: Dein Stürmertraining war nicht so schlecht.»