Der Bundesgerichtshof urteilt am Donnerstag im Rechtsstreit zwischen dem DFB und dem FC Carl Zeiss Jena. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa)

Wer ist zur Verantwortung zu ziehen, wenn auf den Tribünen in Fußball-Stadien verbotene Pyrotechnik oder Böller gezündet werden?

Bisher müssen die Vereine dafür büßen und bezahlen. Aber darf der DFB überhaupt diese Geldstrafen verhängen? Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe spricht in dieser Grundsatzfrage am Donnerstag (8.30 Uhr) ein Urteil. Fan-Vertreter und -Experten schauen genau hin: Die Entscheidung könnte den seit vielen Jahren anhaltenden Streit um die Kollektivstrafe neu entfachen.

Von einer Kollektivstrafe spricht man, wenn ein Sportgericht einen Club beispielsweise nach Fan-Krawallen dazu verurteilt, Spiele vor leeren Zuschauer-Blöcken oder gar im leeren Stadion auszutragen. Dann müssen auch friedliche Anhänger die Konsequenzen eines Fehlverhaltens anderer tragen. Das Thema ist seit vielen Jahren ein Politikum in den Auseinandersetzungen zwischen der organisierten Fanszene und dem Deutschen Fußball-Bund.

FC Carl Zeiss Jena stößt Verfahren an

Das Verfahren vor dem BGH hatte der FC Carl Zeiss Jena angestoßen. Die Thüringer sollen für Störungen von zwei Drittliga-Heimspielen und einer -Auswärtspartie 2018 insgesamt knapp 25.000 Euro zahlen. Geschäftsführer Chris Förster will das nicht hinnehmen. «Wir machen sämtliche Maßnahmen, die nötig sind», sagte er nach der BGH-Verhandlung am 1. Juli. «Wir werden für etwas bestraft, das wir nicht beeinflussen können.»

Der Fall werfe eine «Fülle von Problemen» auf, sagte damals der Vorsitzende Richter Thomas Koch. Die Rechts- und Verfahrensordnung des DFB sieht vor, dass die Vereine für das Verhalten ihrer Anhänger und Zuschauer verantwortlich sind. Sie haften «im Stadionbereich vor, während und nach dem Spiel für Zwischenfälle jeglicher Art».

Das bedeutet, dass sie für Störungen zur Kasse gebeten werden. Je nach Schwere des Vorfalls und Finanzkraft des Vereins kann es um bis zu sechsstellige Summen gehen, das Geld fließt an Stiftungen. Nach einem früheren BGH-Urteil können sich die Vereine das Geld von den Krawallmachern zurückholen und Schadenersatz fordern. Diese müssen allerdings erst einmal ausfindig gemacht werden.

Vor dem zuständigen Schiedsgericht war Jena unterlegen. Die obersten Zivilrichterinnen und -richter des BGH überprüfen nun, ob dieser Schiedsspruch Bestand haben kann. Das Frankfurter Oberlandesgericht hatte ihn in der Vorinstanz bestätigt.

Hebt der BGH den Schiedsspruch auf?

Der BGH kann einen Schiedsspruch nur aufheben, wenn er elementare Grundsätze der Rechtsordnung verletzt, wie der Senatsvorsitzende Koch schon erläuterte. «Das ist also eine sehr hohe Hürde.»

Aber: Ein solcher Grundsatz ist das Schuldprinzip. Es besagt, dass jede Verurteilung und jede Strafe ein Verschulden voraussetzt. Koch sagte, hier werde eine wichtige Weichenstellung sein, ob die Zahlungen rechtlich als Strafe oder Präventionsmaßnahme zu werten seien. Auf der anderen Seite stehe die Verbandsautonomie, die Einschränkungen des Schuldprinzips unter Umständen rechtfertigen könnte.

Ein zentraler Kritikpunkt schien für die Richter zu sein, dass Heim- wie Gastvereine gleichermaßen haften. Anders als der Gastgeber, der auch wirtschaftlich profitiere, habe der Gastverein keinen Einfluss auf den Stadionbetrieb, sagte Koch.

Regelmäßiger Protest aus der Fanszene

Die regelmäßig durch das DFB-Sportgericht verhängten Strafen stoßen bei den Fans seit vielen Jahren immer wieder auf Protest. «Mit Blick auf die Fanszenen sprechen wir von einer Vielzahl junger Menschen, und die allermeisten haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl», erklärte Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) in Frankfurt/Main. «Das wird durch das spezifische Strafensystem im Fußballsport regelmäßig herausgefordert, zum Beispiel wenn große Gruppen von Fans für das Fehlverhalten einzelner bestraft werden, die sogenannten Kollektivstrafen.»

Gleiches gelte auch für die verschuldensunabhängige Bestrafung wie im vorliegenden Fall: «Hier soll der eigene Bezugsverein für etwas bestraft werden, wofür er nachweislich keine Verantwortung trägt.» Aus Sicht der KOS und der Fanprojekte sollte ein Vorgehen nach Fanvergehen «strikt täterorientiert» sein – mit Priorität auf der staatlichen Strafverfolgung.

DFB-Anwalt Thomas Summerer sagte hingegen nach der Verhandlung im Juli: «Wir halten nach wie vor die Haftung der Vereine für Zuschauerausschreitungen für unerlässlich.» Der Verband hoffe, dass auch der Senat die Sicherheit der Zuschauer im Blick habe bei seiner Entscheidung. «Die verschuldensunabhängige Haftung von Vereinen für das Fehlverhalten von ihnen zuzurechnenden Zuschauern ist seit Jahren vom Internationalen Sportgerichtshof Cas wie auch vom Bundesgerichtshof anerkannt», betonte DFB-Interimspräsident Rainer Koch stets. Die bisherigen Entscheidungen im Fall Jena stünden «in vollem Einklang mit dieser seit Jahren geklärten Rechtslage».

Von Anja Semmelroch und Ulrike John, dpa

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