Der Mainzer Sportvorstand Christian Heidel glaubt nicht, dass sich das Fußballgeschäft nach dem Rücktritt von Max Eberl ändern wird. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Werner Schmitt/dpa)

Das Ball rollt wieder, natürlich. Eine Woche nach dem bemerkenswerten Rücktritt von Max Eberl kehrt der Profifußball an diesem Wochenende zu seinem Tagesgeschäft zurück.

Ein paar Tage lang, nachdem Eberl mit Tränen in den Augen offenlegte, einfach «keine Kraft mehr» für dieses erschöpfende Geschäft zu haben, das von so vielen Seiten zerrt, wurde mehr oder minder ernsthaft diskutiert. Sind Eberls Worte ein Warnsignal? Frisst der Fußball jene, die zu viel geben, auf? Eine überfällige Debatte zwar. Aber eine, die längst da gewesen ist.

Fußball «zu 100 Prozent in der Öffentlichkeit»

Christian Heidel ist einer, der das wissen muss. Der Sportvorstand des FSV Mainz 05 kennt das Geschäft seit drei Jahrzehnten, arbeitete zwischenzeitlich auch in Gelsenkirchen beim aufgeregten FC Schalke 04. Schonender ist der Umgang nicht geworden, im Gegenteil. «Der Unterschied zu meinen Anfängen in den 90er Jahren ist, dass sich das Geschäft inzwischen zu 100 Prozent in der Öffentlichkeit abspielt. Alles wird kommentiert, alles wird bewertet», sagt Heidel (58) der Deutschen Presse-Agentur. Da baut sich Druck auf.

«Das eine sind die Medien, die inzwischen ja sekundengetreu berichten», führt Heidel aus. «Das zweite sind einfach die Sozialen Medien, die es damals nicht gab. Das betrifft ja nicht nur den Fußball, das ist ja in der Politik genau das Gleiche.» Entscheidungen würden praktisch in Echtzeit von Millionen Menschen bewertet. «Manchmal in einer Art und Weise, die schwierig ist. Aber darüber beschwere ich mich nicht – das ist der Job», sagt Heidel.

Das Problem der durch die Sozialen Medien praktisch gläsernen Akteure des Fußballs ist ein Stück weit hausgemacht – schließlich wird damit gut verdient. Wer Millionen Follower bei Facebook, Twitter, Instagram und Co. feiert, muss zwangsläufig damit rechnen, dass etliche davon Grenzen überschreiten. Diese Entwicklung, unter der in Corona-Zeiten neben Politikern auch die bekannten Virologen leiden, kann der Fußball kaum zurückdrehen.

Social Media erhöht den Druck

«Diese Schraube hat in den letzten Jahrzehnten enorm angezogen. Mit Social Media kommen Hunderttausende Cheftrainer dazu», sagt der renommierte Sportsoziologe Gunter Gebauer der dpa. «Es ist schon erstaunlich, wie viel Druck die Spieler, Sportdirektoren und Trainer aushalten müssen. Es sind sehr viele Stimmen, die sich einmischen.» Beispiele für Grenzüberschreitungen gibt es zur Genüge.

Der Schiedsrichter Felix Zwayer (40) berichtete von Anfeindungen und Hass, gar von einer Morddrohung nach seiner umstrittenen Leitung des Bundesliga-Spitzenspiels zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München im Dezember. Und Eberl (48) nahm seinen eigenen Rücktritt als Paradebeispiel. Bekannt geworden war seine Entscheidung schon am Vorabend der offiziellen Pressekonferenz am vergangenen Freitag. «Was dann in 24 Stunden daraus gemacht wird und was alles gesprochen und spekuliert wird, ist genau das, was mich tatsächlich krank macht», sagte er. Es werde «kommentiert, beurteilt, verurteilt» – und die Person, «die es trifft, die hat noch nicht mal ein Wort gesagt.»

Das ist ein Faktor, die Arbeitsbelastung ein anderer, den der Profifußball beileibe nicht exklusiv hat. Es ist ein extrem weites Feld. Das Burn-out-Syndrom, im Grundsatz der Zustand der emotionalen und dadurch auch körperlichen Erschöpfung, ist längst eine Volkskrankheit geworden. Dem «Psychreport» der DAK-Gesundheit zufolge gab es im ersten Corona-Jahr 2020 in der Arbeitswelt «wegen psychischer Erkrankungen» so viele Ausfalltage wie noch nie. Die Techniker Krankenkasse veröffentlichte Ende 2021 eine repräsentative Umfrage mit der Einleitung: «Deutschland steht unter Stress».

Heidel warnt vor den Belastungen

Heidel betont auch deshalb: «Unsere Berufsgruppe nimmt sich nicht heraus, dass sie mehr oder härter arbeitet als andere. Wir wollen kein Mitleid.» Dennoch könnten die Verhältnisse im Fußball «nur Leute beurteilen, die das erlebt haben – dazu zähle ich Politiker. Die sind auch noch schlechter bezahlt als die in der Fußballbranche.»

Wohin im schlimmsten Fall Erschöpfungssyndrome und Burn-out führen können, musste der Fußball 2009 beim Suizid des an Depressionen erkrankten Nationaltorwarts Robert Enke erfahren. «Dass der Fußball dann sehr ungesund ist, sieht man daran, dass immer wieder Depressionen bekannt werden», sagt Gebauer (78). «Das kann auch heißen, man hat eine Rolle gespielt, zu der man gar nicht steht.»

Es sei immer überraschend, wenn die Betroffenen an die Öffentlichkeit gehen, «weil die Sportwelt Bilder von Akteuren zeigt, die voll im Saft stehen, die voller Energie und Pläne sind», sagt der emeritierte Professor für Philosophie und Sportsoziologie an der FU Berlin. «Und die auch damit umgehen können, wenn der Misserfolg kommt. Aber das mag oft auch nur Fassade sein. Dahinter ist sehr viel verborgen, hinter dieser Fassade einer Selbstsicherheit, die man im Sport unbedingt halten muss.»

Vor vier Jahren berichtete der langjährige Nationalspieler und Weltmeister von 2014, Per Mertesacker (37), über seine körperlichen Reaktionen auf die Erwartungshaltung, die auf den Profis lastet. «Als sei das, was dann kommt, symbolisch gesprochen, einfach nur zum Kotzen», sagte der 104-malige Nationalspieler in einem «Spiegel»-Interview. Wie nach Eberls Pressekonferenz wurde damals betroffen diskutiert – hat sich was geändert?

Eberl trifft eine Entscheidung für sich

«Wir diskutieren jetzt, aber wir werden es nicht ändern. Nächste Woche geht es genauso weiter – das ist einfach so», sagt Heidel. Er habe «sehr großen Respekt» vor Eberls Entscheidung, «ich glaube aber nicht, dass sich etwas ändern wird.» Gebauer weist darauf hin, dass die eine Änderung nicht zu finden sein wird, ein Ansatz: «Man müsste öffentlich stärker darauf hinwirken mit Stellungnahmen, dass es nicht angeht, wenn Sportler und Sportdirektoren mit Hass bombardiert werden. Es besteht unbedingter Handlungsbedarf bei den Vereinen – aber auch die Medien müssen sensibler werden.»

Der langjährige Club-Manager Heribert Bruchhagen (71) hatte vor sechs Jahren in einem Interview der «Süddeutschen Zeitung» gesagt: «Kein Manager in der Bundesliga ist überarbeitet.» Das «Image der Gestressten» werde angedichtet. Am Montag aber berichtete er auf dpa-Anfrage, er könne sich «gut» in die Situation von Eberl hineinversetzen. «Die habe ich auch oft erlebt. Aber ich habe diesen Schritt nicht gemacht. Das, was ich von Max gesehen habe, war authentisch. Für mich kommt das aber nicht infrage.»

Eberl selbst deutete an, was befürchtet werden muss. «Ich weiß, ich werde die Schnelllebigkeit nicht zurückholen, ich werde diese Rastlosigkeit, die um uns alle herum ist, nicht stoppen können», sagte er. Aber: «Ich kann sie für mich stoppen und das tue ich gerade im Moment.»

Von Jan Mies, Ulrike John und Niels Babbel, dpa

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