Das Estadio Ramón Sánchez Pizjuán hat nur Platz für 40.000 Fans. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Daniel Gonzalez Acuna/dpa)

Einfachste Hostelzimmer für mehr als 1000 Euro, verrückte Reiserouten mit Zug, Bus und Flug sowie eine erwartete «Völkerwanderung»:

Die Stadt Sevilla rüstet sich vor dem Endspiel der Europa League zwischen Eintracht Frankfurt und den Glasgow Rangers für einen einmaligen Ansturm. Bis zu 50.000 Hessen und über 70.000 Schotten werden in der Final-Metropole in Andalusien erwartet. In Sachen Tradition, Fans und aufgeladener Stimmung dürften am Mittwoch bei bis zu 35 Grad schon vor dem Spiel am Abend (21.00 Uhr/RTL) Dimensionen erreicht werden wie sonst nur vor einem WM-Finale.

Kleines Stadion

«Es wird ein Ansturm, den diese Stadt noch nie erlebt hat. Es wird wohl erstmals so sein, dass wir auswärts weniger Fans haben als der Gegner. Das wird gewaltig», sagte Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann mit Blick auf den Showdown im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán, das zum Ärger beider Fangruppen nur etwas mehr als 40.000 Zuschauer fasst.

Beide Clubs erhielten lediglich 10.000 Tickets, hätten aber mehr als zehnmal so viel unter ihren nach dem internationalen Titel lechzenden Fans loswerden können. Besonders bitter für die beiden Finalisten ist dies, weil es alleine in Sevilla zwei größere Fußballstadien gibt als das des FC Sevilla. Doch die Euphorie in Frankfurt und Glasgow kann das nicht bremsen.

«Wir sind voller Vorfreude, weil es für diesen Wettbewerb ein einzigartiges Treffen der lautstärksten und sangeskräftigsten Fans Europas ist. Das wird ein fast einmaliges und sehr, sehr großes stimmungsvolles Finale», sagte Hellmann, dessen Club vom Lauf in Europa ein wenig überrascht wurde. Die Eintracht, die das Bundesliga-Jahr auf einem ernüchternden elften Platz beendet hat, befindet sich seit Wochen im Ausnahmezustand. Alles dreht sich nur noch um Europa, noch viel krasser als sonst bereits üblich. Christoph Daum – Ex-Trainer der Hessen – erwartet in Sevilla «eine kleine Völkerwanderung», wie er der Deutschen Presse-Agentur sagte.

Verrückte Reise

Für Hellmann und den Club wird das Finale auch der vorläufige Höhepunkt einer verrückten Reise: 2016 den Abstieg in der Relegation gegen Nürnberg verhindert, 2018 den Pokal gegen Bayern gewonnen und 2022 das erste europäische Finale seit 42 Jahren. Zu diesem werden zehntausende eigene Fans quer durch Europa reisen – auf skurrilen, teils unkomfortablen und meist verdammt teuren Wegen.

Wer in Sevilla dabei sein will, muss verdammt viel zahlen – und dann auch noch Glück haben, für ein Ticket ausgewählt zu werden. Das gilt für Frankfurter wie Schotten gleichermaßen. Profi Leon Balogun beschreibt die Leidenschaft der Rangers-Fans so: «Es kann absolut unangenehm werden, wenn es nicht so läuft. Trotzdem ist es absolute Liebe und Besessenheit. Das macht diese Fans aus. Ich liebe es, diese Wucht.»

Die beiden Fangruppen sind sich freundschaftlich verbunden, bei der Eintracht gibt es gar einen Konferenzraum mit dem Namen Glasgow Rangers. Bei den Hessen wurde euphorisch bejubelt, dass der Traditionsclub aus Schottland und nicht RB Leipzig den Sprung ins Finale geschafft hat. Auch wenn sich damit der Kampf um Tickets und Hotels nochmal massiv verschärft und verteuert hat. Wer zu spät dran war, musste in Sevilla schon mal 1600 Euro für zwei Nächte in einer ganz gewöhnlichen Unterbringung zahlen. Der Wucher kannte nach den Halbfinals keine Grenzen mehr.

Public Viewing in Frankfurt

Welch enorme Kraft das Endspiel am Main auslöst, zeigt auch das Public Viewing, das die Eintracht im eigenen WM-Stadion austrägt. Bis zu 100.000 Karten hätte der Bundesligist, der schon in Barcelona und bei West Ham riesige Fanmengen auswärts dabei hatte, verkaufen können. Auf dem Schwarzmarkt wurde mehr als das zehnfache als der übliche Preis von 10 Euro aufgerufen – wohlgemerkt, um die Partie auf einer Großbildleinwand zu sehen, rund 2300 Kilometer nordöstlich von der eigentlichen Finalstadt.

Für die Fans ist die Ticket-Situation das mit Abstand größte Problem. Unterkünfte und Anreise-Möglichkeiten lassen sich mit Abstrichen, einem großen Geldbeutel oder Fantasie – ein Fan fährt mit dem Fahrrad von Frankfurt nach Sevilla – organisieren. Aber die Anzahl der Karten ist eben begrenzt. «Diese Wut muss mir kleiner erklären. Ich kenne sie und fühle sie. Ich habe auch aus meinem Freundeskreis einige enttäuschte Mails bekommen», sagte Hellmann.

Der Verein hat – in Anbetracht des 3:2 in Barcelona und des 2:1 bei West Ham – eine «Grundentscheidung» zur Ticketvergabe getroffen, wie Hellmann ausführte. Die besonders lautstarken und aktiven Fans sollen unbedingt dabei sein, um gegen die Schotten dagegenhalten zu können. «Wir sind pragmatisch. Wir wollen den Furor von den Rängen auf den Platz bringen», sagte der Funktionär. Im sommerlich heißen Sevilla wird dieser Furor schon den ganzen Tag zu spüren sein.

Von Patrick Reichardt und Eric Dobias, dpa

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