Auch der FC Bayern ist nicht unantastbar.
Aber das eigentlich unglaubliche 1:1 (0:1) nach einer mitreißenden Fußball-Show über 97 Minuten inklusive Nachschlag im Münchner Spitzenspiel gegen Problemgegner Borussia Mönchengladbach könnte am Ende doch nur eine trügerische Hoffnung auf etwas mehr Spannung im Bundesliga-Titelrennen in der besonderen WM-Saison sein. Ein spätes Tor des sehr engagierten und auffälligen Nationalspielers Leroy Sané als viel zu geringe Ausbeute eines Feuerwerks von am Ende über 30 Bayern-Abschlüssen, das wirkte am Samstag fast surreal in der brodelnden Allianz Arena – so wie die sehr starke Leistung von Yann Sommer im Gladbacher Tor.
19 Paraden am großen Sommer-Abend! Diese Liga-Bestmarke seit Beginn solcher Datenerhebungen 1992 brachte die Bayern-Offensive um Sadio Mané, dem der Video-Assistent auch noch zwei Abseitstore nachwies, an den Rand der ersten Saisonniederlage. Aber nicht zur Verzweiflung – oder zur Aufgabe. «Wir haben es zu keinem Zeitpunkt akzeptiert, das Spiel zu verlieren», sagte Bayerns Mittelfeldchef Joshua Kimmich.
Nagelsmann hadert
«Du kannst mal ’ne Woche frei machen», rief Bayern-Trainer Julian Nagelsmann nach dem Schlusspfiff genervt und beeindruckt zugleich dem famos haltenden Sommer zu. Der Bayern-Coach ärgerte sich über den Schiedsrichter, haderte auch mit der Chancenverwertung, aber nicht mal im Ansatz mit dem spielerischen Vortrag seiner Mannschaft.
Nagelsmann sprach vielmehr von der «besten Saisonleistung» und befand: «Wir haben 35 Torschüsse gehabt, das sollte reichen für drei Punkte in den nächsten Spielen.» Er warf am Ende sogar Abwehrchef Matthijs de Ligt als Joker auf der Mittelstürmer-Position ins Getümmel, um irgendwie den Siegtreffer zu erzwingen. Aber auch de Ligt scheiterte in der Nachspielzeit mit einem wuchtigen Volleyschuss an Tausendsassa Sommer. «So weitermachen, dann schießen wir viele Tore», lautete Nagelsmanns Fazit nach Bayerns erstem Mini-Wackler.
«Wir wollten Tore machen, es war kein Larifari», sagte Thomas Müller zur diesmal fehlenden Effektivität. «Du brauchst Glück bei den Bayern, die im Moment alles wegschießen und zerstören», bemerkte Gladbachs Christoph Kramer. Sportvorstand Hasan Salihamidzic nahm das Ergebnis hin. Er erfreute sich dafür an «einem Wahnsinnsspiel für die Zuschauer. Ich glaube, jeder hat dieses Spiel genossen.»
Sommer im «Flow»
Der FC Bayern sieht sich auch als Unterhaltungsbetrieb, fehlende Titelspannung muss im Liga-Alltag durch Spektakel-Fußball ersetzt werden. «Wenn wir die Energie mitnehmen, freue ich mich», sagte Salihamidzic mit Blick auf die nun beginnenden englischen Wochen und den für Deutschlands Topclub wichtigsten Wettbewerb – die Champions League. Selbstzweifel eröffnete der Abend bei den Bayern-Stars nicht. «Wenn wir so drauf sind, wird es nicht viele Gegner geben, die gegen uns einen schönen Nachmittag erleben», tönte Angreifer Müller.
So sahen das auch die Gladbacher mit ihrer Mischung aus Sommer, Leidenschaft, Glück und dem abgebrühten Angreifer Marcus Thuram, der einen Blackout von Bayern-Verteidiger Dayot Upamecano entschlossen mit dem Führungstor der Borussia bestrafte. «Es war ein hartes Spiel für uns», sagte Bayern-Spezialist Sommer, der sich «in so einen Flow» rein hielt.
«Entrückt sind die Bayern noch nicht, es ist erst der vierte Spieltag», sagte Sommer zur Übermacht der Bayern auch in diesem nicht gewonnenen Spiel: «Sie sind in einer unglaublichen Form. Sie machen über 90 Minuten extrem viel Druck, haben viel Power, extrem viel Qualität am Ball, sind sehr variabel im Spiel. Es ist schwer, gegen sie zu punkten.» Gladbach habe diese «große Challenge» bestanden.
«Man hat zumindest gesehen, wie man die Bayern ärgern kann», sagte Gladbachs Sportdirektor Roland Virkus. Als nächstes kann sich Union Berlin als Bayern-Stopper versuchen. Denn in der Hauptstadt kommt es am Samstag gleich zum nächsten Spitzenspiel Erster (Bayern) gegen Zweiter (Union). «Das hätten viele nicht erwartet», sagte Müller zum überraschenden Topspiel des fünften Spieltags und ergänzte: «Union spielt einen eigenen Stil. Gegen die spielt man pauschal nicht so gerne.»