Die Spieler von Union bedanken sich nach dem Heimsieg gegen Borussia Dortmund bei den Fans für die Unterstützung. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Andreas Gora/dpa)

Bayern-Trainer Julian Nagelsmann findet Union Berlin cool. Dortmunds Edin Terzic ist nach der 0:2-Lehrstunde mit seinem BVB ziemlich neidisch auf den tollen Charakter der Köpenicker. Und beim Fußball-Klassenfeind der Eisernen spricht RB Leipzigs Chefcoach Marco Rose von «Hochachtung» für eine «außergewöhnliche Entwicklung».

Die Bundesliga-Branchenführer blicken staunend und bewundernd in den Südosten Berlins und rätseln wie ganz Fußball-Deutschland, wie es der kleine 1. FC Union vom Ost-Underdog zum gar nicht mehr so überraschenden Tabellenführer schaffen konnte. Die halbe Saison steht Union jetzt schon ganz oben. Warum soll das nicht so bleiben?

Fischer: «Unser Ziel sind weiterhin 40 Punkte»

Nur in der Alten Försterei bleibt sich der Spiritus Rector der romantischen Fußball-Erfolgsstory selbst treu und redet immer und immer und immer wieder nur von 40 Punkten als Saisonziel für den Klassenerhalt. «Wir haben ein Ziel herausgegeben, zu Beginn dieser Spielzeit, dass wir diese 40-Punkte-Marke bekommen. Jetzt ändern wir doch nicht nach 23 Punkten unsere Ziele. Das ist für mich logisch», sagte Trainer Urs Fischer.

Das klingt bizarr nachdem weder die Bayern (1:1), noch Leipzig (1:2), noch Dortmund (0:2) gegen Union gewinnen konnten. Doch es ist auch Teil des Erfolgskonzepts. Die Fans singen längst von der deutschen Meisterschaft, das sollen sie auch, meint Fischer. Aber er flippt garantiert nicht aus, sondern denkt an den Zweitligisten 1. FC Heidenheim als nächsten «schweren Gegner» im DFB-Pokal am Mittwochabend (20.45 Uhr/Sky). Auch da müssten seine Spieler «wieder ans Limit gehen».

Was die Konkurrenz an Union fasziniert und frustriert zugleich, ist deren Unantastbarkeit. «Union macht das hervorragend. Man muss nicht so tun, als wäre das Mittelmaß», meinte BVB-Starverteidiger Mats Hummels zur vermeintlich unattraktiven, aber hocheffizienten Spielweise des Köpenicker Kollektivs.

Terzic: «Es ist das, was Spitzenteams ausmacht»

Unions Spieler hätten Lust, unbequeme Dinge zu tun, die dazu führten, dass der Gegner Dinge tun muss, auf die er keinen Bock habe, sagte Terzic nach der Niederlage. Eine Eigenschaft, die er bei seinen zu sehr dem naiven Spieltrieb verfallenen Profis vermisst. «Es ist das, was Spitzenteams ausmacht. Jeder weiß, was sie tun und keiner kann es verhindern», sagte Terzic.

Spitzenteam? Bei dieser Einschätzung würde Fischer schon wieder kritisch aufmerken. Spitzenteam? Meisterkandidat? Überflieger? All diese Titulierungen sind dem nüchternen Schweizer zu viel. Und das trotz zehn Saisonspielen mit nur einer Niederlage (0:2 bei Eintracht Frankfurt) und dem Spitzenwert von nur sechs Gegentoren.

Unabhängig vom Tabellenbild sei sein Team beileibe nicht die beste deutsche Fußball-Mannschaft, sagte Fischer und lieferte aktuelle Fakten. 29 Prozent Ballbesitz gegen Dortmund. «Das muss besser werden», meinte Fischer. 68 Prozent Passquote. «Das muss präziser werden», forderte er. Mit Akribie oder auch Pedanterie hat er Union zu dem gemacht, was es ist. Ein unkonventionelles Spitzenteam.

«Ohne Einstellung geht es nicht», antwortete er angesprochen auf Terzics Lust-Bock-Vergleich recht lapidar. Die Konkurrenz hat die Signale vernommen. Und fürchtet vielleicht mehr eine Wiederholung des englischen Titelwunders von Underdog Leicester City 2016 in der Bundesliga, als Union es sich selbst zu träumen erlaubt.

Salihamidzic: «Sie sind eine richtig gute Mannschaft»

«Sie sind Donnerstag und Sonntag immer körperlich und mental voll da. Sie hauen sich einfach in alles rein und geben alles für den Sieg. Dann ist es oft so, dass das Leben dich dafür belohnt. Sie sind verdientermaßen oben dabei», sagte Nagelsmann, der mit dem FC Bayern bei vier Punkten Rückstand nun erster Union-Jäger ist.

Münchens Sportchef Hasan Salihamidžić beeindruckt vor allem, wie die Eisernen «jede Woche auch zweimal diese Intensität auf den Platz bringen. Sie sind eine richtig gute Mannschaft.» Und neben der Bundesliga auch im Pokal und der Europa League noch gut dabei.

Freiburgs Trainer-Routinier Christian Streich hat einen inoffiziellen Titel an Union schon vergeben. Sie hätten «ziemlich sicher die beste defensive Organisation in der Bundesliga». Eine andere Bestmarke, die im auf Tradition und Historie erpichten Union-Kosmos von Bedeutung sein dürfte, ist auch sicher. Am Sonntag werden die Köpenicker zum sechsten Mal Bundesliga-Tabellenführer sein, ganz egal wie das Spiel beim Schlusslicht VfL Bochum ausgeht. So oft stand kein anderer ehemaliger DDR-Oberligist im gesamtdeutschen Fußball ganz oben. Die Ironie: Zu DDR-Zeiten war Union – auch damals schon ein sympathischer Underdog – nie Spitzenreiter.

Arne Richter, Klaus Bergmann und Tom Bachmann, dpa

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