Salem Mohammed Dausari (r) war Saudi-Arabiens Matchwinner gegen Argentinien. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Robert Michael/dpa)

Lionel Messi stemmte die Hände in die Hüften und ertrug das Abklatschen der freudetrunkenen Sensationssieger aus Saudi-Arabien mit Fassung.

Mit versteinerter Miene verschwand der Superstar vom Ort der Auftakt-Blamage seiner letzten WM. Die 1:2 (0:1)-Pleite der argentinischen Mitfavoriten am Dienstag in Lusail zum WM-Auftakt in Katar war nicht weniger als eine bittere Demütigung für den 35 Jahre alte Superstar, der bei seiner letzten WM erstmal nicht an einen krönenden Titelabschluss zu denken braucht.

Nach einem Beginn wie geschaffen für den Superstar im Auftaktspiel demontierte der taktisch hervorragend agierende und leidenschaftlich kämpfende Außenseiter angefeuert von einer grünen Wand die Südamerikaner. Argentinien verlor das erste Spiel nach zuvor 36 ungeschlagenen Partien und muss nach der Blamage nun plötzlich das erste WM-Vorrundenaus seit 2002 fürchten.

«Unglaublich, aber wahr», schrieb die Sportzeitung «Olé» aus Argentinien. «Wir haben verloren, das lag an unseren eigenen Fehlern. Wir hätten in der ersten Halbzeit mehr als ein Tor machen müssen», sagte Argentiniens Lautaro Martínez: «Wir werden versuchen, die Fehler nächstes Mal abzustellen.» Die Mannschaft sei trotz der Blamage weiterhin «hochmotiviert», sagte der 25-Jährige: «Wir wollen weiterkommen und müssen schauen, was uns für Fehler passiert sind.» 

Messi-Führung reicht nicht

Nach der Führung durch Messi in der zehnten Minute durch einen diskussionswürdigen Foulelfmeter sorgten Saleh Al-Shehri (48.) und Salem Al-Dausari (53.) binnen kurzer Zeit für die erste große Sensation der umstrittenen WM in Katar. In der ersten Halbzeit wurden gleich drei Tore der Argentinier nicht anerkannt – alle jeweils wegen Abseitsstellungen. 

Im nächsten Gruppenspiel am kommenden Samstag gegen Mexiko steht Argentinien damit gehörig unter Druck, um nach dem schmachvollen Achtelfinal-Aus in Russland vor vier Jahren diesmal nicht schon nach der Gruppenphase abreisen zu müssen. Zum Abschluss der Vorrunde geht es noch gegen Polen um Stürmerstar Robert Lewandowski. 

In Lusail schien schon alles bereitet für die Messi-Gala. Es dauerte nicht mal zwei Minuten, da ging das erste große Raunen durch das Finalstadion. Gleich der erste Angriff des haushohen Favoriten landete beim bis dahin noch 91-maligen Auswahltorschützen. Aus rund zwölf Metern versuchte er den Ball mit seinem begnadeten linken Fuß ins lange Eck zu schlenzen. Doch Saudi-Keeper Mohammed Al-Owais tauchte ab und klärte – es war der Auftakt für den vermutlich denkwürdigsten Tag in der Karriere des 31-Jährigen vom Al-Hilal SFC. Die Fans der Araber hinter dem Tor wurden laut, richtig laut. Schon bei der Hymne war deutlich: Dieser Außenseiter will kämpfen und wird kämpfen.

Doch es hätte nicht schlechter für sie und nicht besser für Messi bei seiner WM-Mission mit Argentinien weitergehen können. Schiedsrichter Slavko Vincic eilte an die Linie: Videobeweis. Nach einem Messi-Eckball wurde Leandro Paredes im Strafraum umgerissen. Elfmeter, Freude bei den Fans in himmelblauen und weißen Trikots, Entsetzen bei den Anhängern in Grün.

Messi trat an. Der Kapitän, der die Mannschaft vor anderthalb Jahren mit Leidenschaft schon zum Titel bei der Copa America geführt hatte, übernahm die Verantwortung. Ein Fehlschuss, und wer weiß, wie es weitergehen würden. Messi verschoss aber nicht. Ein paar Schritte Anlauf, den zuvor noch großartige parierenden Keeper verladen, schob er den Ball begleitet von den Pfiffen saudi-arabischen Fans ins Tor. Es war Messis siebter WM-Treffer im 20. Spiel, die Erleichterung war spürbar. Das war der Start, den er sich für seine fünfte und letzte WM erhofft hatte – an so vielen nahm bislang noch kein anderer Südamerikaner teil.

Drei Tore aberkannt

Ein Sieg zum Auftakt sei «fundamental» für den weiteren Turnierweg, der ihn am 18. Dezember zurück ins Stadion von Lusail führen soll, hatte Messi gesagt. Und er machte weiter. 22. Minute: Der Ball war wieder im Netz. Diesmal aber aberkannt vom Videoreferee. Ebenso das Tor von Lautaro Martínez nur ein paar Minuten später und bei seinem zweiten Versuch in der 35. Minute nach Traumpass von Messi. Ein 0:4 nach einer guten halben Stunde hätte wohl auch den leidenschaftlichen Kampfgeist der Saudis unter dem französischen Trainer Hervé Renard gebrochen. 0:1 hieß aber noch nichts, auch wenn Kapitän Salman Al-Faradsch verletzt vor der Pause vom Platz musste.

Und nur drei Minuten nach dem Seitenwechsel bekamen die Argentinier um Messi den schweren Dämpfer: Der erste Torschuss der Saudis saß. Wie schon so oft auch bei vergangenen Weltmeisterschaften offenbarte die Abwehr wieder Lücken. Mit einem starken Schuss ins lange Eck verwandelte Al-Shehri das Stadion in Lusail in einen arabischen Dezibeltempel. Von den argentinischen Fans war nichts mehr zu hören. Und es wurde noch schlimmer für sie, als Al-Dausari mit einem Traumtor die Führung für Saudi-Arabien erzielte. 

Messi stand fassungslos in der Nähe der Mittellinie, ehe er schnell den Ball forderte – jetzt oder nie: Die WM-Frage kam früher als erwartet. Doch Argentinien wirkte fast ratlos gegen diese entfesselten Araber mit einem Torwart, der Messi & Co zur Verzweiflung brachte. Die vielen Chancen in der Schlussphase konnte der Favorit nicht nutzen. Vor allem auch, weil Saudi-Arabien verbissen bis zur letzten Sekunde kämpfte.

Jens Marx und Thomas Wolfer, dpa

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