Kein Kuschen vor Katar und der FIFA, fester Glaube an den Titeltraum: Gerade erst hatten Thomas Müller und Antonio Rüdiger mit einer vorgezogenen Rückkehr auf den Trainingsplatz für einen sportlichen Hoffnungsschimmer gesorgt, da legte DFB-Boss Bernd Neuendorf mit einer mutigen Vorgabe für Hansi Flick nach.
Ein WM-Auftaktsieg der Fußball-Nationalmannschaft ist für den Verbandspräsidenten praktisch eine Selbstverständlichkeit. So gut sei die Stimmung schon einen Tag nach dem Einzug ins exklusive Zulal Wellness Resort am Nordzipfel des Gastgeberlandes.
«Eine echte Einheit»
«Eine echte Einheit ist diese Truppe, die wir da haben. Das gilt für die Trainer und Spieler. Ich bin fest überzeugt, dass wir einen positiven Eindruck haben und das Spiel gegen Japan gewinnen», sagte der 61-Jährige. Deutschland habe in Katar «richtig gute Kicker am Start», betonte Neuendorf bei der DFB-Auftaktpressekonferenz im Medienzentrum gleich neben dem wie eine rote Trutzburg geformten Trainingsgelände des Al-Shamal SC, das die DFB-Elf für die WM-Zeit nutzt.
Dort hatten kurz zuvor die wochenlang angeschlagenen und bei ihren Clubs in München und Madrid auch für die WM wegen Hüft- und Muskelproblemen geschonten Müller und Rüdiger am eigentlich freien Tag der Nationalspieler ihr Comeback um 24 Stunden vorverlegt. Gemeinsam mit Bundestrainer Flick und einer Handvoll weiterer Kollegen trainierten sie für mehr als eine Stunde. Der Rest des Kaders entspannte noch einmal am Pool unter Palmen – oder spielte wie Jamal Musiala, Leroy Sané und Thilo Kehrer in der Turnhalle auf dem Gelände juchzend Basketball.
Sorgenkinder zurück
Wohl behalten und ohne erkennbare Malaise seien Flicks sportliche Sorgenkinder Müller und Rüdiger wieder ins Quartier zum Mittagessen zurückgekehrt, hieß es vom DFB. Ob Antreiber Müller und der gegen Japan für die Defensiv-Stabilität benötigte Abwehrchef Rüdiger die von Flick angekündigte hohe Trainingsbelastung in den kommenden vier Tagen mitgehen können, ist aber weiterhin offen.
Vor dem ersten kompletten Teamtraining im Al-Shamal an diesem Samstag gehörte die Bühne zunächst Delegationsleiter Neuendorf. Und der DFB-Boss hatte auch als WM-Neuling auf dem großen Funktionärsparkett viele Botschaften, die man weder bei der FIFA und deren Chef Gianni Infantino noch beim Turniergastgeber Katar mit Freude vernehmen wird.
Neuendorf schloss explizit nicht aus, dass die DFB-Stars auch öffentlich mit Aktionen für Menschenrechte und Meinungsfreiheit in Erscheinung treten werden – über die One-Love-Kapitänsbinde von Manuel Neuer hinaus. «Das wird in der Mannschaft besprochen, dass wir uns das vorbehalten, da sind wir durch die Positionen sehr deutlich geworden», sagte der seit acht Monaten den DFB mit ruhiger Hand führende Neuendorf.
Nationalspieler unterstützen SOS-Kinderdorf
Die erste Charity-Aktion der Nationalspieler, die Neuendorf präsentierte, geht über Katar hinaus. In den kommenden fünf Jahren werden jeweils 200.000 Euro aus der Stiftung der Nationalmannschaft und damit direkt von den DFB-Stars einem SOS-Kinderdorf in Nepal zugutekommen. Aus dem asiatischen Land kommen viele Wanderarbeiter nach Katar. Viele von ihnen arbeiteten unter international kritisierten Bedingungen auf den WM-Baustellen.
«Wir glauben, dass das eine Maßnahme ist, die ein wirkliches Zeichen setzt, die nachhaltig ist», sagte Neuendorf über die Millionenspende. Es gehe darum, eine neue Generation an Arbeitsmigranten zu verhindern. Daher sollten die Verhältnisse der Menschen im Herkunftsland verbessert werden.
In Katar will sich Neuendorf nicht wegducken. Sollte der Weltverband den DFB und andere große Fußball-Nationen wie die ebenfalls kritischen Engländer für die bunte Spielführerbinde sanktionieren, «wäre ich bereit, eine Geldstrafe inkauf zu nehmen», versicherte er auf dem DFB-Podium. Im März soll der frühere Journalist als Nachfolger von Peter Peters ins FIFA-Council aufrücken – Freunde macht er sich dort in diesen Tagen ganz sicher nicht.
Unverständnis für FIFA-Verbot
Unverständnis äußerte der Politiker für das FIFA-Verbot der dänischen T-Shirt-Botschaft mit dem Schriftzug «Menschenrechte für alle». Ebenso kritisch sieht Neuendorf, dass die FIFA zur gewaltsamen Niederschlagung der Proteste für Gleichberechtigung im WM-Teilnehmerland Iran schweigt.
«Ganz generell sollte man dazu Position beziehen. Die sehr mutigen Frauen im Iran verdienen jede Aufmerksamkeit und Unterstützung», sagte Neuendorf. Auch das ist eine klare Botschaft an FIFA-Boss Gianni Infantino, dem der DFB seine Stimme für die praktisch sichere Wiederwahl im März nicht bedingungslos versprechen will.