Ob Jürgen Klinsmann, Joachim Löw oder nun erstmals Hansi Flick: Überraschungen haben Tradition im deutschen Fußball, wenn ein Bundestrainer den Kader für eine Weltmeisterschaft nominiert.
Zehn Tage vor dem Start der WM-Endrunde in Katar wird der 57 Jahre alte Flick um 12.00 Uhr auf dem DFB-Campus das Rätselraten um seine maximal 26 Spieler beenden.
Es werde «die eine oder andere Überraschung geben», hatte Flick im Vorfeld seiner Kader-Bekanntgabe noch recht geheimnisvoll angekündigt. Die Deutsche Presse-Agentur blickt auf die Nominierungen für die WM-Turniere seit 2006 zurück – mit dem Schlaglicht auf die unerwarteten Personalien und erstaunliche Entwicklungen.
WM 2006 (Deutschland): Bundestrainer Klinsmann und Assistent Löw verblüffen Fans und Experten mit der Nominierung des Dortmunders David Odonkor, dem Flügelflitzer ohne Länderspiel. Der 22-Jährige liefert im Gruppenspiel gegen Polen. Als Joker bedient er nach einem rasanten Flügellauf den ebenfalls eingewechselten Oliver Neuville, der in der Nachspielzeit das 1:0 erzielt. Das Dortmunder Stadion bebt. Angreifer Kevin Kuranyi ist bei der Kaderverkündung der Promi unter den Gestrichenen. Er kann es kaum glauben, als Klinsmann ihn anruft und für die Heim-WM ausbootet: «Ich habe gelacht und gesagt: Das ist jetzt nur ein Spaß, oder?» Nein, nein, Klinsmann scherzte keineswegs, es war sein voller Ernst.
WM 2010 (Südafrika): Löw überrascht vor seiner ersten WM als Bundestrainer mit den Neulingen Holger Badstuber und Dennis Aogo. Torwart-Veteran Jörg Butt vom FC Bayern ersetzt den verletzten René Adler. Dessen Status als Nummer 1 erhält der damals 24 Jahre alte Schalke-Schlussmann Manuel Neuer. Kapitän Michael Ballack verletzt sich kurz vor Turnierbeginn. Die Nation ist geschockt. Aber auf Ballacks Position im Mittelfeld trumpft der junge Sami Khedira in Südafrika auf. Das Resultat: Nach der WM wechselt der damals 23-Jährige vom VfB Stuttgart zu Real Madrid.
WM 2014 (Brasilien): Torjäger Mario Gomez und Torwart René Adler fehlen im anfangs noch 30-köpfigen DFB-Aufgebot. «Das ärgert mich unendlich», klagt Gomez. «Mario hat seit September nur 280 Minuten gespielt», begründet Löw. Der weithin unbekannte Abwehrspieler Shkodran Mustafi wird nach dem Trainingslager ausgemustert und dann doch Weltmeister, weil sich Pechvogel Marco Reus im letzten Testspiel vor dem Abflug nach Brasilien verletzt. Löw nominiert Mustafi nach. Der sitzt im Flieger nach Südamerika und darf am Ende mit dem WM-Pokal jubeln.
WM 2018 (Russland): Löw überrascht mit Länderspiel-Neuling Nils Petersen. Im reifen Alter von 29 darf der Freiburger sich im Trainingscamp um einen WM-Platz bewerben – nach 15 Toren in der Bundesligasaison. In Südtirol gibt es dann ein großes Raunen, als Löw neben Torwart Bernd Leno, Jonathan Tah und Petersen auch Jungstar Leroy Sané (Manchester City) nach Hause schickt. «Leroy hat ein riesiges Talent, absolut», sagt Löw damals. Bei Flick muss der nun 26 Jahre alte Sané kein Déjà-vu fürchten: Der Bayern-Star ist gesetzt für die WM in Katar.
WM 2022 (Katar): Bis zuletzt wird spekuliert, wen Flick bei seinem Premieren-Turnier als Bundestrainer mitnimmt nach Katar. Die verletzten Angreifer Timo Werner und Lukas Nmecha fallen aus. Die Länderspielneulinge Youssoufa Moukoko (17/Borussia Dortmund) und Niclas Füllkrug (29/Werder Bremen) werden darum als Mittelstürmer noch heißer gehandelt. Macht’s Flick etwa wie Löw bei der verpatzten EM 2021 und holt Abwehr-Routinier Mats Hummels noch mal für ein Turnier zurück? Und wie verfährt er mit länger verletzten Akteuren wie Marco Reus und Lukas Klostermann oder auch das seit Monaten pausierende Leverkusen-Talent Florian Wirtz?