Wahbi Khazri (weißes Trikot) war Tunesien Matchwinner gegen Weltmeister Frankreich. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Robert Michael/dpa)

Die letzten Minuten ihres WM-Abschieds waren für die Tunesier ein unglaubliches Wechselbad der Gefühle.

Sie führten 1:0 (0:0) gegen ein B-Team von Weltmeister Frankreich, die Ersatzspieler knieten auf der Ersatzbank um einen Laptop, der Abpfiff beim 1:0 der Australier gegen Dänemark besiegelte ihr WM-Aus in der Vorrunde. Dann schoss Antoine Griezmann den vermeintlichen Ausgleich (90.+8), das Spiel wurde abgepfiffen. 

Der Kölner Ellyes Skhiri sank traurig auf die Knie, Fans hatten Tränen in den Augen. Die Spieler wurden zurückbeordert, der Treffer wurde wegen einer Abseitsstellung von Griezmann aberkannt – und die Tunesier feierten den letztlich wertlosen Sieg ausgelassen. 

Torhüter Aymen Dahmen sank nun vor Freude auf die Knie, nach dem tatsächlichen Schlusspfiff gingen die Tunesier stolz in die Kurve und ließen sich von ihren lautstarken Fans feiern. Sie hatten sich vorzeitig verabschiedet, bei der sechsten Teilnahme zum sechsten Mal in der Vorrunde, doch mit einem noch erhobenerem Kopf kann man kaum nach Hause fliegen. 

Dem Titelverteidiger, dessen Trainer Didier Deschamps seine Stammelf nach dem schon sicheren Achtelfinal-Einzug auf gleich neun Positionen umgebaut hatte, bleiben durch den australischen Sieg wohl Vorwürfe der vermeintlichen Wettbewerbsverzerrung erspart. «Wir hatten die Chance, einigen Spielern eine Pause zu geben. Aber wir hatten heute Schwierigkeiten», sagte der Trainer. «Am Ende hätten wir trotzdem den Ausgleich verdient gehabt. Wir werden uns jetzt erholen, und dann geht es weiter.» Zum nicht gegebenen Tor sagte Griezmann: «Ich stand im Abseits. So ist es eben.» Es sei schwierig zu spielen, wenn man schon weiter ist. «Aber wir haben alles gegeben.»

Tor des Tages durch Khazri

Der starke Kapitän Wahbi Khazri, der in Montpellier in Frankreich spielt, sorgte für den Siegtreffer (58.) für das Team um den Kölner Ellyes Skhiri. Frankreich wurde trotz der ersten Niederlage in einem WM-Spiel seit dem Viertelfinale 2014 gegen Deutschland (0:1) Gruppensieger. Gegner im Achtelfinale am Sonntag wird der Zweite der Gruppe C, der am Mittwochabend zwischen Polen, Argentinien, Saudi-Arabien und Mexiko ermittelt wird.

Deschamps hatte fast die komplette Startelf umgebaut. Nur Mittelfeldakteur Aurélien Tchouaméni und Abwehrspieler Raphaël Varane verblieben im Team, letzterer übernahm von Torhüter Hugo Lloris die Kapitänsbinde. Ins Team gespült wurden auch Kingsley Coman vom FC Bayern München und Randal Kolo Muani von Eintracht Frankfurt, die beide aber keine Eigenwerbung betreiben konnten. Bayerns Dayot Upamecano rotierte raus, sein Clubkollege Benjamin Pavard und der Mönchengladbacher Marcus Thuram hofften vergeblich auf eine Chance. Der Ex-Herthaner Mattéo Guendouzi kam zu seinem ersten Einsatz in Katar, Vater Mohamed war rechtzeitig eingeflogen und saß auf der Tribüne. Aber auch Tunesiens Coach Jalel Kadri änderte sein Team gleich auf sechs Positionen. Skhiri blieb drin, der gebürtige Freiburger Mohamed Dräger nicht.

Die Tunesier mussten liefern. Sie begannen druckvoll und ihre lautstarken Fans bejubelten in der 8. Minute schon die vermeintliche Führung. Nader Ghandri hatte den Ball nach einem Freistoß sehenswert ins Tor befördert, zuvor aber mit der Fußspitze im Abseits gestanden, weswegen der Treffer einkassiert wurde. Doch der Schwung der Nordafrikaner ließ dadurch nicht nach. Die Tunesier zeigten deutlich mehr Biss als die zusammengewürfelte Truppe des Weltmeisters. Den laut Statistik ersten Torschuss hatten trotzdem die Franzosen, doch Coman verzog aus spitzem Winkel (25.).

Deutlich knapper dran waren die Tunesier durch Khazri. Bei dem Schuss des 31-Jährigen hatte der diesmal im Tor stehende Steve Mandanda große Schwierigkeiten (35.). Das 0:0 im Parallelspiel zwischen Australien und Dänemark zur Pause ließ den Tunesiern alle Chancen offen, zu diesem Zeitpunkt fehlte ihnen nur ein Treffer zum Weiterkommen.

Auf den drängte der Außenseiter auch nach dem Wechsel unverdrossen – und wurde belohnt. Und natürlich war es der vorbildliche Kapitän Khazri, der ein starkes Solo vollendete. Der Jubel war groß, doch nur wenige Minuten später kam die Kunde von Australiens Führung gegen Dänemark. Bei den Franzosen kam nun unter anderem Stürmerstar Kylian Mbappé, kurz darauf auch Griezmann. Die beste Chance für den Weltmeister vergab Kolo Muani mit einem Schuss knapp neben das Tor (90.).

Holger Schmidt, Nils Bastek und Patrick Reichardt, dpa

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