Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic entgeht auf ihrem exklusiven Logenplatz nichts. Aufmerksam beobachten sie das intensive Treiben unter der Regie von Trainer Julian Nagelsmann auf dem gepflegten Rasenplatz in Doha.
Auf ihren mitgebrachten weißen Plastikstühlen residieren die Bayern-Bosse auf einem kleinen Wall oberhalb der Trainingsplätze der Aspire Academy und überwachen akribisch, wie sich die Münchner Fußball-Profis ohne den weiter vermissten Torwart-Ersatz für Manuel Neuer auf die weitere Bundesliga-Saison vorbereiten.
Erst regnete es im traditionellen Bayern-Wintercamp in Katar wie aus Eimern. Seit Sonntag aber scheint in dem Emirat, das bei den DFB-Kickern um Joshua Kimmich und Thomas Müller so bittere WM-Erinnerungen hervorruft, wieder die Sonne vom blauen Himmel. Bei um die 20 Grad wird viel geschwitzt bei der Arbeit.
Gladbachs Virkus: «Werden Yann Sommer nicht abgeben»
Das idyllische Bild von Kahn und Salihamidzic trügt jedoch. So entspannt, wie es aussieht, kann das Vorstands-Duo gerade nicht sein. Denn auch 4300 Kilometer Luftlinie entfernt von München holt die Bosse ein Problem aus der Heimat ein: Die Torwartsituation. «Das Thema beschäftigt uns natürlich», gab Salihamidzic zu, versicherte aber im selben Atemzug: «Wir arbeiten hier im Trainingslager so, wie wir uns das vorgenommen haben.» Engagiert und konzentriert.
Am Samstag kam aus Deutschland eine Botschaft, die Bayerns Wunschlösung mit Gladbachs Schlussmann Yann Sommer (34) als Rückrundenersatz für Kapitän Neuer (Beinbruch) vermeintlich beendete. «Wir werden Yann Sommer nicht abgeben. Das haben wir den Bayern auch so mitgeteilt», sagte Gladbachs Sportdirektor Roland Virkus der «Rheinischen Post». Das klang nach einem «Basta». Oder nur nach einem höheren Preisschild, das die Borussia ihrer Nummer eins anheften wollte?
So bewertete es jedenfalls Julian Nagelsmann. «Ich habe da jetzt nicht die Schlagzeilen gelesen und bin in Ohnmacht gefallen», sagte der Bayern-Coach am Sonntag. Mit Blick auf Gladbachs Sportchef ergänzte Nagelsmann: «Ich glaube, das gehört zum Job dazu, dass man in dem Bereich ein Pokerface aufsetzt.»
Auch der wohl wechselwillige Sommer scheint nun aktiver einzugreifen. Nach Informationen des TV-Senders Sky soll der Schweizer Gladbachs Vize-Präsident Rainer Bonhof persönlich um Freigabe gebeten haben. Bonhof dementierte das. «Davon weiß ich nichts, da ist nichts dran. Unser Sportdirektor und unser Trainer haben sich klar geäußert», sagte Bonhof der Deutschen Presse-Agentur.
Salihamidzic arbeitet «auf Hochtouren»
Nagelsmann spielte derweil den Ball weiter zu Salihamidzic, der auch in Katar «generell auf Hochtouren» an Lösungen arbeite. «Natürlich hat uns die Verletzung von Manuel hart getroffen. Wir werden aber jetzt unsere Arbeit machen, Optionen checken und dann irgendwann eine Entscheidung treffen», sagte Salihamidzic.
Das könnte freilich dauern. «Die Transfermarktperiode geht bis zum 31. Januar. Bis dahin werden wir entweder etwas machen oder nicht», kündigte der Sportvorstand an. Nagelsmann hat «eine Deadline im Kopf», zu der jeder wissen sollte, «woran er ist». Eine Rückholaktion des an die AS Monaco verliehenen Alexander Nübel ist nicht die erste Bayern-Option. Auch ein Mister X nicht. Es bleibt Yann Sommer.
Ist Gladbachs Wechselveto wirklich felsenfest? Bayern-Chef Kahn sagte 2022 bei Robert Lewandowski auch erst Nein zu dessen Wechselwunsch, garniert mit einem markigen «basta». Am Ende durfte der Torjäger doch zum FC Barcelona weiterziehen – als die millionenschwere Ablöse passte. Der Betrag für Sommer wird inzwischen irgendwo zwischen fünf und zehn Millionen Euro taxiert.
Ulreich der letzte erfahrene Bayern-Keeper
In Doha bildet noch Sven Ulreich (34) mit den Talenten Johannes Schenk (19) und Tom Ritzy Hülsmann (18) die Münchner Torwart-Gruppe. Nagelsmann würde dem erfahrenen und erprobten Neuer-Ersatz Ulreich die Rolle als Nummer eins «schon zutrauen». Aber riskant wäre es schon, keinen Torwart zu holen. «Es ist eine komplizierte Situation, wenn ein Stammtorwart ausfällt», meinte Nagelsmann.
Die Bayern peilen schließlich das nächste Titel-Triple an. In der Champions League geht es im Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain mit Weltmeister Lionel Messi und WM-Torschützenkönig Kylian Mbappé. «Wir müssen hier das Fundament bauen», sagte Nagelsmann zur aktuellen Vorbereitung auf die zweite Saisonhälfte.
Die negativen WM-Nachwehen rund um die deutschen Nationalspieler hat er dabei in seiner Ansprache ans Team in Katar nicht besonders thematisiert. Er habe «nicht das Gefühl, dass einer in ein extremes Loch gefallen ist», sagte er etwa in Bezug auf Kimmich, der genau das nach dem deutschen Vorrunden-Aus für sich befürchtet hatte. «Wenn man mal richtig einen in die Visage bekommt, eine Niederlage erfährt und die richtigen Lehren daraus zieht, ist das der größte Motivator, den man haben kann», erläuterte Nagelsmann die aus seiner Sicht beste Art der Frustbewältigung.