Oliver Kahn stand nach dem nächsten Frustspiel im Münchner Frost im dicken Wollmantel in der Interview-Zone und beschrieb in erstaunlich ruhiger Tonlage die maximal unbefriedigende Situation seiner Bayern.
Kein Poltern! Kein Vulka(h)n-Ausbruch! Und doch war nach dem nächsten 1:1 (1:0) im Bundesliga-Topspiel des Hinrunden-Ersten gegen Eintracht Frankfurt im Inneren der Allianz Arena doch in jeder Sekunde des Vier-Minuten-Auftritts von Vorstandsboss Kahn zu spüren: Es brodelt in dem Fußball-Wüterich früherer Torwart-Zeiten.
«Wir sind auch nach diesem Spieltag Tabellenführer, das ist mal positiv», begann Kahn seine Bestandsaufnahme, die aber noch im selben Atemzug ins Negative kippte. 1:1 in Leipzig, 1:1 gegen Köln, 1:1 gegen Frankfurt – das ist absolut nicht Bayern-like: «Wir sind alles andere als gut in die zweite Saisonhälfte gestartet», sagte Kahn. Acht von 18 Saisonspielen hat der Abo-Meister nicht gewonnen.
Gefährliche K.o.-Wochen
Beim Blick auf die Februar-Termine droht sogar noch mehr Winter-Frust. Die Bayern rumpeln in gefährliche K.o.-Wochen, beginnend mit dem DFB-Pokal-Achtelfinale am Mittwoch beim stets unangenehmen FSV Mainz 05 sowie dem ersten Teil des Champions-League-Krachers gegen Paris Saint-Germain mit den Weltstars Lionel Messi und Kylian Mbappé am 14. Februar. Schon früh könnte sich die Saison des FC Bayern entscheiden. «Es geht jetzt auch schon um sehr viel», bemerkte Kahn, als ihm mitten im Satz der so kurze Zeitraum zur Krisenbewältigung bewusst wurde.
Trainer Julian Nagelsmann verniedlichte den Ist-Zustand zur «Ergebniskrise» und erweckte den Eindruck, mit einigen Korrekturen wie mehr «Spielbeschleunigung» und mehr Fokus beim Angreifen und Verteidigen die Drucksituation bewältigen zu können. «Der Druck ist verkraftbar für mich, machen Sie sich keine Sorgen», beschied er einem Reporter, der ihn zu seiner Druckresistenz befragte.
Die Resultate erinnern verdächtig an den vergangenen Herbst, als die Bayern sogar viermal am Stück sieglos blieben. Doch genau da erhob Kahn Einspruch. Ihm gefällt das Bayern-Team 2023 nicht. «Objektiv fällt auf, dass das zwei Mannschaften sind. Das war die Mannschaft vor der Weltmeisterschaft. Und das ist jetzt die Mannschaft nach der Weltmeisterschaft. Der Unterschied zum Herbst ist ersichtlich, da hatten wir unglaublich viele Torchancen und haben einfach die Tore nicht gemacht. Jetzt ist das nicht der Fall.» Die Leichtigkeit ist futsch, vor der WM reihte sich Sieg an Sieg.
Stocken in der Offensive
Das 1:0 von Leroy Sané war einer der wenigen sehenswerten Angriffszüge. Nach dem Ausgleich von Frankfurts Liga-Topscorer Randal Kolo Muani gab es dagegen keine Team-Reaktion mehr. «Wir haben nicht Torchance um Torchance», mahnte Kahn. Er hat Redebedarf. «Warum wir im Moment unsere PS nicht auf die Straße bekommen, das werden wir jetzt in aller Ruhe analysieren», kündigte Kahn an.
Die Bosse werden ungeduldig. Gerade den deutschen Nationalspielern hatten sie nach der vermurksten WM einen langen Urlaub gegönnt. Darum reagierten Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic auch so angesäuert auf den Mode-Trip von Serge Gnabry zum Restart, als sie wieder vollen Fokus auf die Münchner Titel-Jobs erwarteten. «Wir fordern jetzt Leistung ein», sagte Kahn am Samstag – basta!
Der Pokal-Abend in Mainz kommt ihm gerade recht. «Gott sei Dank. Das ist genau das, was die Mannschaft jetzt braucht. Das K.o.-Spiel kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Da müssen wir jetzt richtig Gas geben», sagte Kahn. Liefern die Stars unter Sieg-Zwang? Warm eingepackt schritten die Reservisten am Sonntagmorgen auf dem Vereinsgelände zum Spielersatz-Training, während die Stammkräfte wie der gerade uninspirierte Jamal Musiala die Fans mit Autogrammen beglückten.
Thomas Müller, dessen Rückkehr in die Startelf auch nicht Wunder wirkte, sagte, was jetzt Programm beim FC Bayern sein müsse. «Wir haben uns gegen Frankfurt diesen Knotenplatzer gewünscht, klar. Der Punktevorsprung schmilzt. Wir müssen jetzt unseren Wut-Motor anwerfen.» Kahn wird diese Worte des Ur-Bayern Müller gerne hören.