Die Diskussionen um die Handspiel-Regel im Profifußball sind UEFA-Präsident Aleksander Ceferin ein Dorn im Auge. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Armando Franca/AP/dpa)

Spätestens wenn der eigene Chef den Überblick verliert, wird’s problematisch. «Ich verstehe die aktuellen Regeln nicht. Ich verstehe sie überhaupt nicht», sagte UEFA-Präsident Aleksander Ceferin zuletzt.

Das Spiel an sich versteht der Boss der Europäischen Fußball-Union natürlich. Nicht mehr nachvollziehen kann er aber, wann sich der Videoassistent beim Schiedsrichter auf dem Platz melden und wann ein vermeintliches Handspiel auch als solches geahndet werden sollte. Und damit ist Ceferin nicht allein. Schon lange nicht mehr.

Wöchentliche Diskussion

Die unterschiedliche Auslegung der Handspiel-Regel führt Woche für Woche zu Diskussionen im Profifußball. Sie sei allen «entglitten», klagte Ceferin in der slowenischen Zeitung «Ekipa». Weshalb die UEFA nun versucht, sie wieder in den Griff zu kriegen. Diese Woche tagte erstmals ihr neuer Beirat, dem eine Reihe an Startrainern und Ex-Nationalspielern wie die drei Deutschen Rudi Völler, Jürgen Klinsmann und Philipp Lahm angehören.

Das Gremium schlug unter anderem vor, dass zur kommenden Saison noch einmal klargestellt werden sollte, dass kein strafbares Handspiel vorliege, wenn der Ball zuvor vom eigenen Körper des Spielers abgefälscht wurde. Insbesondere, wenn daraus kein Tor entstehe.

Im Regelwerk des International Football Association Board (Ifab) steht dies bislang so nicht. Die UEFA kann diese Fußball-Regeln auch nicht ändern. Diese sehen vor, dass ein Handspiel geahndet wird, wenn der betroffene Spieler den Ball absichtlich mit Arm oder Hand berührt oder seine Körperfläche zuvor auf unnatürliche Art und Weise vergrößert und einen Pfiff damit in Kauf genommen hat. «Absicht» ist das zentrale Wort, um das die unterschiedliche Auslegung der Regel kreist – und das nach Meinung von Ex-Bundesliga-Referee Lutz Wagner noch deutlicher zum Ausdruck kommen sollte.

Wagner: Absicht muss im Vordergrund stehen

«Die Regel muss so kurz und knapp wie möglich formuliert sein und die Absicht meiner Meinung nach immer im Vordergrund stehen», sagte der 59-Jährige, seit 2010 Schiedsrichter-Lehrwart beim Deutschen Fußball-Bund, der Deutschen Presse-Agentur. «Wenn ich ins Regelwerk also auch noch etwas zur Vergrößerung der Abwehrfläche schreibe, sollte dabei stehen, dass sie für ein Vergehen absichtlich erfolgt sein muss. Die aktuelle Formulierung «unnatürlich» lässt zu viel Spielraum.» Und verunsichert nicht nur die Unparteiischen auf dem Platz oder am Bildschirm. Die Handspiel-Regel verwirrt und verärgert auch Fans und Spieler.

«Zwei Elfmeter, die niemals ein Elfmeter hätten sein dürfen. Ich hasse das», schrieb etwa Verteidiger Mats Hummels von Borussia Dortmund über die viel diskutierten Entscheidungen im Champions-League-Spiel zwischen dem FC Bayern München und Manchester City vorige Woche in den sozialen Medien. «Vielleicht sollten wir trainieren, dem Gegenspieler im gegnerischen Strafraum an die Hand zu schießen. Also gar nicht mehr den eigenen Mitspieler zu suchen, sondern einfach nur eine Hand, die da irgendwo herumbaumelt», sagte Trainer Niko Kovac vom VfL Wolfsburg im Januar bei Sky.

Profis fragen bei Schiedsrichter nach

Es käme durchaus vor, dass Profis während einer Partie aktiv bei ihm nachfragen würden, welche Handhaltung womöglich bestraft werde, berichtete Deniz Aytekin, seit Jahren einer der Top-Schiedsrichter in Deutschland. Er begrüße das, weil er ihnen die aktuelle Auslegung der Regel dann näherbringen könne. Dass das überhaupt nötig ist, veranschaulicht aber die Problematik. Viele Kriterien führen zwangsläufig zu vielen unterschiedlichen Handhabungen.

«Etwas einfach zu halten, ist die große Kunst, und war immer eine der größten Stärken des Fußballs», sagte Schiedsrichter-Lehrwart Wagner. Dazu zurückzufinden, ist angesichts der heutigen Transparenz und Vielzahl an technischen Möglichkeiten jedoch nicht einfach. «Überall sind Spiele und Szenen aus aller Welt und aus unterschiedlichsten Perspektiven zu sehen. Jeder kann sich bei der Begründung für seine Entscheidung auf irgendein Beispiel zurückziehen, dass er irgendwo gesehen hat, und es entstehen zig verschiedene Thesen», so Wagner.

Fehlentscheidungen müssten deshalb auch klar benannt werden. Und die Regeln einfacher, aber präziser formuliert. So, dass auch der eigene Chef wieder durchsteigt.

Christoph Lother, dpa

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