Auf der Tribüne litten Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic mit versteinerten Mienen. Thomas Tuchel umarmte nach der schmerzhaften Pleite im Gigantenduell noch schnell Pep Guardiola, ehe für den Coach des FC Bayern die Aufbauarbeit für das nötige Fußball-Wunder von München begann.
Der FC Bayern steht nach einem 0:3 (0:1) in Viertelfinal-Hinspiel der Champions League bei Manchester City vor dem Aus. «Ich sehe das Ergebnis überhaupt nicht», sagte Tuchel bei Amazon Prime Video. Sie seien in ihren besten Phasen bestraft worden. «Ich weigere mich, irgendwie die Leistung schlechtzureden, ich bin hochzufrieden.»
In einer höchst packenden Königsklassen-Show verspielten die Münchner auch durch eigene Fehler nach der Pause eine bessere Ausgangslage für das Rückspiel am kommenden Mittwoch zu Hause. «Brutal, vor allem die ersten 60 Minuten waren sehr, sehr gut», sagte Kapitän Joshua Kimmich gezeichnet und mitgenommen von einem schweren Kampf mit einem blauen Auge. Matthijs de Ligt äußerte: «Das Resultat ist bitter.»
Kimmich: «Können im Rückspiel etwas holen»
Unter Tuchels Vorgänger Julian Nagelsmann hatten die Bayern acht Siege in acht Spielen der europäischen Meisterliga gefeiert. Nun kann nur ein großer Abend die Bayern, die auch schon im DFB-Pokal vorzeitig gescheitert sind, noch retten. «Ich habe schon das Selbstvertrauen und das Vertrauen in die Mannschaft, dass wir im Rückspiel etwas holen können», betonte Kimmich.
Nach einem Traumtor von Rodri (27. Minute) leitete Dayot Upamecano mit einem schweren Patzer das 0:2 durch Bernardo Silva (70.) ein. Superstürmer Erling Haaland, Vorbereiter beim 2:0, schockte die Bayern mit einem weiteren Treffer (76.).
Müller nicht in der Startelf
Angetrieben vom früheren Manchester-Star Leroy Sané schnupperten die Münchner zwar wiederholt am Ausgleich, doch die Cityzens waren offensiv einfach wuchtiger. Bei Wind und Regen feuerte der neue Bayern-Coach Thomas Tuchel, der auf Kapitän Thomas Müller in der Startelf verzichtet hatte, sein Team ebenso emotional mit Gesten und Rufen von der Linie aus an, wie der frühere Münchner Trainer Pep Guardiola das Heim-Team. Seine Starauswahl unterstrich imposant, warum City der große Favorit auf den Titelgewinn in dieser Saison ist.
Die beiden Trainer-Giganten reichten sich auch vor dem Anpfiff noch mit einem Lächeln die Hände, dann konnte es losgehen. Und wie! Im Dauerregen standen Tuchel und Guardiola unter Vollstrom, bisweilen nur ein paar Meter voneinander entfernt. Und auf dem rutschigen Rasen versuchten die Münchner, die massive Manchester-Startphase erstmal zu überstehen.
Tuchel hatte sich aus taktischen Gründen gegen Müller entschieden. «Ich liebe Thomas, aber wir erwarten kein typisches Thomas-Müller-Spiel», hatte der Bayern-Coach beim Streamingdienst Amazon Prime Video betont. Den Verletzungsausfall von Eric Maxim Choupo-Moting versuchten die Münchner mit Beweglichkeit in der Offensive zu kompensieren. Schnell, wendig und dribbelstark waren die geforderten Prädikate.
Kunstschuss von Rodri bringt City in Führung
Und es deutete zunächst einiges darauf hin, dass Tuchel seine Mannschaft gut auf die gefürchtete Guardiola-Elf eingestellt hatte, die in den vergangenen acht Pflichtspielen acht Siege mit 31:3 Toren erzielt hat – darunter das 7:0 im Achtelfinal-Rückspiel daheim gegen RB Leipzig mit dem Fünferpack von Haaland.
Der Startminutendrang von City war etwas gebremst, die Bayern boten Manchester wenig Räume und versuchten ihrerseits, den Ball zu halten. Trotz des massiven Potenzials von Manchester musste ein Kunstschuss her.
Sekunden zuvor hatte Nationalspieler Jamal Musiala noch die Bayern-Führung auf dem Fuß gehabt, sein Schuss aus rund zwölf Metern wurde aber abgeblockt. Auf der Gegenseite ließ sich Musiala zu leicht austricksen und Rodri nahm Maß, der Ball schlug im Tordreieck ein. An der Seitenlinie reckte Tuchel aus Frust die Arme nach oben, parallel drehten sich die beiden Trainer-Stars mit unterschiedlicher Gefühlslage Richtung Bank.
Manchester nach der Führung souveräner
Und mit dem Tor kam auch wieder die Souveränität im Spiel von Manchester zurück. City demonstrierte, die Mannschaft der Titelfavorit ist. Die Bayern hielten aber weiter gut dagegen. Es fehlte aber an der Wucht. Gefährlich wurde es vorn, wenn Ex-City-Profi Sané beteiligt war wie bei einem Distanzschuss in der Nachspielzeit der ersten Hälfte.
Im Spiel nach hinten verdiente sich Dauerkämpfer Joshua Kimmich Bestnoten, die Topchance zum möglichen 2:0 durch City-Kapitän und Nationalspieler Ilkay Gündogan nach einem Abklatscher von Sommer beim Herauslaufen konnte aber auch Kimmich nicht verhindern. Letztlich machte Sommer seinen Patzer wieder gut und parierte mit dem Fuß.
Halbzeit-Fazit von Bundestrainer Hansi Flick: «Das Spíel ist auf einem sehr hohen Niveau.» Man habe aber schon gemerkt, dass beide Mannschaften Respekt voreinander hätten.
Sané scheitert mehrmals an Ederson
Vor den Augen auch von Flick, der ihn zuletzt nicht nominiert hatte, verbuchte Sané mit einem Flatterball den ersten Torschuss Sekunden nach dem Seitenwechsel und leitete turbulente Minuten ein. Zunächst mit einer weiteren Sané-Chance, aber wieder parierte Ederson. Nach einem Missverständnis zwischen Sommer und dem unglücklich agierenden Dayot Upamecano ging es im Bayern-Strafraum hoch her, nur mit viel Mühe und Glück verhinderten die Bayern den zweiten City-Treffer.
Und wieder auf die andere Seite, wieder Sané, wieder Ederson. Danach musste noch mal Sommer sein ganzes Können aufbieten gegen eine immer wieder von Kevin De Bruyne angetriebene City-Mannschaft – der Belgier musste aber gut zwanzig Minuten vor dem Ende angeschlagen raus. Auch Tuchel tauschte Personal: Sadio Mané, einst beim FC Liverpool, kam für Musiala.
Das Problem aber war hinten. Upamecano wirkte die ganze Zeit schon nicht sicher und verlor völlig unnötig an Jack Grealish den Ball. Pass zu Silva, Tor. Tuchel schüttelte entgeistert den Kopf. Die Bayern taumelten gewaltig. Und Haaland gab ihnen den Rest. Nach dem Aus im DFB-Pokal gegen den SC Freiburg im Viertelfinale braucht der FC Bayern nun ein Fußball-Wunder, um in der jungen Ära Tuchel nicht schon in der kommenden Woche die nächste Titelchance endgültig abhaken zu müssen, das wissen Vorstandschef Kahn und Sportvorstand Salihamidzic auch nur zu gut.