Mittlerweile sind die Wogen geglättet. Auch wenn es bei ihrem ersten Treffen vor fünfeinhalb Jahren hoch herging, werden sich HSV-Trainer Tim Walter und sein FC St. Pauli-Kollege Fabian Hürzeler am Freitag (18.30 Uhr/Sky und Sky-Channel bei youtube) vor dem emotionsgeladenen 109. Hamburger Stadtderby der 2. Fußball-Bundesliga freundlich begegnen.
«Wir haben ein gutes Verhältnis», sagte der 47-jährige Walter. Auch der 17 Jahre jüngere Hürzeler versicherte: «Wir begrüßen uns nett am Freitag, wir haben einen guten Austausch miteinander und deshalb ist die Sache für mich vergessen.»
«Die Sache» – das war am 19. August 2017 ein Spiel der Regionalliga Bayern. Damals gewann Hürzeler als Spielertrainer des FC Pipinsried bei seinem Jugendclub FC Bayern München II mit Trainer Walter. Hürzeler erzielte den Siegtreffer zum 1:0 und musste später mit Gelb-Rot vom Platz. Zwischen dem damals 24-Jährigen und Walter gab es während und auch nach dem Spiel lautstarken Zoff.
Impulsive Trainer
Dass es trotz der Bekenntnisse zu ihrem guten Verhältnis wieder emotional wird, ist wahrscheinlich. Walter wütet in schöner Regelmäßigkeit an der Seitenlinie – und kassierte auch schon eine Rote Karte in dieser Saison. Und auch Hürzeler beschreibt sich als impulsiv. «Ich kann nicht garantieren, dass gar nichts passiert», sagte er mit Blick auf Freitag. «Ich bin ehrgeizig, ich bin leidenschaftlich dabei. Ich bin niemand, der sich verstellt. Und ich kann meine Emotionen nicht immer kontrollieren – auch wenn ich es zum größten Teil schaffe bisher.»
Freitagabend, 57.000 Zuschauer im Volksparkstadion, die große Rivalität unter den Fans bei dem Risikospiel für die Polizei und das Prestige machen das Stadtderby – allein dies machen das Spiel zu einem Gefühlsgipfel. Bei dieser Auflage kommt nun die sportliche Konstellation als Brisanz-Faktor hinzu. Sechs Spieltage vor dem Saisonende hat der HSV als Tabellendritter sechs Punkte Vorsprung auf den Tabellenfünften FC St. Pauli.
Für Walter und sein Team geht es um einiges, in einem «der schönsten Spiele», wie der Trainer das Stadtderby nennt. Das selbst propagierte Ziel Aufstieg wäre bei einer Niederlage weiter möglich, doch die Gefahr des Scheiterns würde größer. Aber auch Hürzeler und seine Mannschaft haben etwas zu verlieren. Der gerade begonnene Traum von einem Platz unter den ersten Drei wäre bei einem Negativerlebnis ausgeträumt.
Für den HSV zählt nur der Aufstieg
Beide Vereine gehen mit Niederlagen in das Spiel. Am Sonntag verlor der FC St. Pauli gegen Eintracht Braunschweig – nach einer Rekordserie von zehn Siegen unter Hürzeler. «Mir wurde wieder klar, wie schlecht ich als Verlierer bin, wie schlecht ich mit Niederlagen umgehen kann», sagte der Pauli-Trainer. Der HSV kassierte am Abend zuvor ein 0:2 beim 1. FC Kaiserslautern und holte damit nur einen Sieg und zwei Remis aus den vergangenen fünf Liga-Begegnungen.
Trotz der Niederlage gegen Braunschweig hat Hürzeler seinen Auftrag schon übererfüllt. Als er als Nachfolger von Fan-Liebling Timo Schultz nach einer verkorksten Hinrunde im Dezember inthronisiert wurde, sollte der jüngste Trainer im deutschen Profi-Fußball den Verein vor dem Abstieg retten – und führte ihn mit der Siegesserie nah an die Aufstiegsränge.
Dass er und seine Spieler deshalb befreit in das Derby gehen, verneinte er. «Es ist wichtig zu wissen, dass wir ein auch ein Verein sind mit Ambitionen», sagte Hürzeler. Deshalb kann ich nicht sagen, dass wir befreit hereingehen und gucken mal, was passiert.» Es sei auch Druck auf ihrer Seite. «Wichtig ist, dass wir diese mentale Stärke und Klarheit im Kopf haben.»
Für Walter und den HSV zählt nur der Aufstieg. Schon seit Saisonbeginn haben der Trainer und Sportvorstand Jonas Boldt klargemacht, dass es im fünften Anlauf endlich klappt. Auch nach Rückschlägen wie zuletzt gegen den Karlsruher SC und in Kaiserslautern tritt Walter mit einem scheinbar unerschütterlichen Selbstbewusstsein auf, als kenne er keine Selbstzweifel.
«Wichtig ist für uns, dass wir bei uns bleiben und unser Ding durchziehen, was uns in diese Ausgangsposition gebracht hat», sagte er. Mit 53 Punkten sei dies die beste Saison, die der HSV bisher in der 2. Liga gespielt habe. «Von daher: Wir haben eine tolle Ausgangsposition.»