Genervt vom Krisengerede: Bayern-Coach Thomas Tuchel. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sven Hoppe/dpa)

Im Auge des Münchner Fußball-Sturms ist Thomas Tuchel emsig bemüht, trotz der Debatten über verspielte Titel, Boss Kahn, satte Stars und eine handfeste Bayern-Krise als Ruhepol zu wirken. Vor seiner speziellen Rückkehr nach Mainz am Samstag (15.30 Uhr/Sky) und dem Lehrer-Schüler-Duell mit seinem früheren FSV-Spieler Bo Svensson verblüffte der Trainer mit einer ganz eigenen Innenansicht des FC Bayern.

«Ich spüre hier eine ruhige, fokussierte Atmosphäre, eine positive Energie und spüre im Zentrum des Sturms wahrscheinlich die berühmte Ruhe», sagte Tuchel. Die Themen außerhalb schießen seiner Meinung nach «ein bisschen über das Ziel hinaus».

Die Zusammenarbeit mit Vorstandschef Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic sei ebenfalls «ruhig», versicherte Tuchel. Sie verlaufe «zielorientiert, lösungsorientiert und in einer positiven Grundstimmung. Olli und Brazzo haben als Spieler diesen Club geprägt. Sie haben den Siegeswillen in sich.»

«Wir kämpfen um den Titel»

Diesen will Tuchel auch in den letzten sechs Ligaspielen im engen Titelrennen mit Borussia Dortmund von seiner Mannschaft sehen – und zwar konstant. «Wir kämpfen um den Titel. Wir müssen uns für den Meistertitel nicht schämen», sagte der 49-Jährige zum vermeintlichen Trostpreis Meisterschaft. Tuchel zweifelt weder an der Qualität noch der Mentalität der Münchner Stars. Er glaubt nicht, dass sie nach zehn Meistertiteln am Stück in der Bundesliga «zu satt» seien. Als Trainer diagnostiziert er aktuell vielmehr eine Verunsicherung auf dem Platz, «die ein bisschen lähmt». Etwa beim Torschuss. Die Stürmer treffen nicht mehr.

Das Krisengerede nervt Tuchel. Er mahnt mehr «Realitätssinn» in der Bewertung an. «Ich kann absolut nachvollziehen, dass drei Jahre ohne Halbfinale im DFB-Pokal nicht genug sind.» Aber drei Jahre Champions League-Viertelfinale sei beileibe kein Untergang. «Wir sollten nicht vergessen, mit wem wir uns messen in Europa. Ich halte es für unangebracht, ein Ausscheiden im Viertelfinale grundsätzlich als Krise anzusehen.» Auch wenn man immer mehr wolle, er am allermeisten.

Pavard fehlt in Mainz

Der ins Zentrum des Münchner Sturms geratene Bayern-Chef Kahn will trotzdem intern «jeden Stein umdrehen», um danach wieder an Europas Spitze zurückzukehren. Der 53-Jährige, der als Vorstandschef infrage gestellt wird, gibt sich kämpferisch. «Ich verschwende im Moment nicht eine Sekunde daran, mir über meinen Vertrag Gedanken zu machen, es geht immer um den FC Bayern», sagte er der «Bild»-Zeitung. Kahns Fünfjahreskontrakt endet im Dezember 2024.

Erst einmal geht es für die Bayern ohne den gesperrten Benjamin Pavard nach Mainz, wo Tuchel wohl auch wieder von Anfang an auf Thomas Müller setzen wird, den er gegen Man City zweimal auf die Bank setzte. Müller habe auf diese, von Tuchel taktisch begründete, aber selbst «extrem hart» genannte Entscheidung» im Training vorbildlich reagiert. «Ich bin selber ein großer Thomas-Müller-Fan», versicherte Tuchel am Freitag.

Ein Loblied stimmte er auch auf seinen Ex-Club und besonders die dortigen Macher, Sportvorstand Christian Heidel und Trainer Svensson, an. Letzterer war Spieler unter Tuchel in dessen fünf Mainzer Bundesliga-Jahren (2009 bis 2014). «Er hat schon als Spieler wie ein Trainer gedacht. Ich freue mich sehr für ihn. Er ist ein fantastischer Mensch, er ist am absolut richtigen Platz», sagte Tuchel.

«Sie surfen auf einer Welle»

Die Mainzer sind unter dem Dänen Svenson (43) seit neun Spielen ungeschlagen und Dritter der Rückrunden-Tabelle. «Sie surfen auf einer Welle», sagte Tuchel. «Der Kern, der Mainz 05 ausmacht, ist gefunden. Sie machen aus der Rolle des Underdogs wieder mal das Maximale.» Nach einer kleinen Kunstpause fügte er hinzu: «Genug gelobt, wir wollen trotzdem gewinnen.» Sonst wird es für Tuchel auch im Auge des Sturms unruhig.

Und was sagt der Schüler Svensson, der seinen Lehrer und Ziehvater herausfordert? «Es ist sehr besonders, gegen Thomas zu spielen.» Svensson will es gegen die Tuchel-Bayern im dritten Saisonversuch vor allem deutlich besser machen als beim Mainzer 2:6 (Bundesliga) und 0:4 (DFB-Pokal) gegen die da noch von Julian Nagelsmann trainierten Münchner.

Klaus Bergmann, dpa

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