Zu einem flotten Titel-Spruch oder gar einer Kampfansage an den FC Bayern ließen sich die euphorisierten Dortmunder Stars nach ihrer Tor-Gala nicht hinreißen. Doch in der ersten Freude über das 6:0-Spektakel gegen den VfL Wolfsburg gab’s von Sebastian Kehl zumindest eine kleine BVB-Grußbotschaft – auch an den Tabellenführer aus München.
«Das macht schon Eindruck. Der eine oder andere wird heute vor dem Fernsehen gesessen und gesagt haben, das ist schon ein Ausrufezeichen», kommentierte der Sportdirektor den höchsten Saisonsieg der groß aufspielenden Borussia.
Zwar bleiben die zuvor mit 2:1 in Bremen siegreichen Münchner mit einem Punkt Vorsprung an der Tabellenspitze. Doch der zehnte Heimsieg in Serie war für die Borussia ein großer Mutmacher für das Meister-Finish, deren Entscheidung Bayern-Boss Oliver Kahn auf den letzten Metern einer spektakulären Saison erwartet. «Ich glaube, dass das bis zum letzten Spieltag super-spannend bleiben wird», prognostizierte Kahn – und das schon vor dem Dortmunder Fußball-Fest.
Doch nach zu vielen Ausrutschern im Titelrennen bringt die Tor-Party dem BVB alleine nichts. «Die Saison hat uns gezeigt, wie verrückt sie ist und wie viele Probleme es bei nahezu allen Vereinen gab. Wir werden alles dafür tun, dass es verrückt bleibt und wir am Ende etwas zu feiern haben», sagte der Coach Edin Terzic voller Hoffnung auf einen weiteren Patzer der Bayern und einen neuerlichen Führungswechsel.
Bayern will Nerven behalten
«Wir schauen auf uns. Wichtig ist, dass wir Nerven haben, dass wir die Nerven behalten und jedes Spiel ruhig bleiben», sagte Münchens Sportvorstand Hasan Salihamidzic nach dem Sieg in einem «kleinen Endspiel Richtung Meisterschaft». Beim nächsten Titelkampf-Finale gegen den FC Schalke am Samstag könnte vielleicht Verteidiger Dayot Upamecano wieder mitwirken. Der Franzose legte am trainingsfreien Montag nach seinem Muskelfaserriss wie Stürmer Eric Maxim Choupo-Moting sowie der Langzeitverletzte Lucas Hernández eine Extraschicht ein. Auf Choupo-Moting, der seit einiger Zeit von Knieproblemen gestoppt wird, warten die Münchner schon länger als erwartet.
Das elfte nationale Liga-Championat am Stück ist für die Münchner aus eigener Kraft drin. Heimspiele gegen Schalke und Leipzig und zum Abschluss die Partie beim 1. FC Köln lauten die Bayern-Prüfungen. Dortmund darf in der Heim-Festung gegen Mönchengladbach und zum Schlusspunkt gegen Mainz ran. Zuvor geht es nach Augsburg. Kurios: Nur am letzten Spieltag spielen die beiden Rivalen zeitgleich.
Nur selten dürfte Sportdirektor Kehl dem Dortmunder Erzrivalen FC Schalke einen Sieg mehr gewünscht haben als bei dessen Spiel am Samstag in München. «Wir wären nicht böse, wenn wir ein bisschen Hilfe bekommen würden», kommentierte der einstige BVB-Profi, «wir brauchen Hilfe. So ehrlich müssen wir sein.» Das ist zugleich der große Titel-Trumpf der Bayern. Aber in einer Saison mit so viele Aufs und Abs der beiden deutschen Top-Clubs scheint alles vorstellbar. «Es ist noch lange nicht entschieden. Unser Glaube ist auf jeden Fall noch da», sagte Dortmunds Nationalspieler Emre Can.
Es passte ins Bild einer erfolgshungrigen Mannschaft, dass Karim Adeyemi trotz einer mit zwei Toren (14./59.) gekrönten Gala-Vorstellung von seinem kongenialen Mitstreiter Jude Bellingham (54./86.) aufgemuntert werden musste. Der verschossene Foulelfmeter in der 64. Minute minderte die Freude über sein bestes Spiel im BVB-Trikot: «Ich habe meinen Tag ein wenig ruiniert. Ich war in diesem Moment untröstlich.»
Mit der Aussicht auf seinen ersten Bundesliga-Dreierpack hatte sich der 21-Jährige um die Ausführung des Elfmeters bemüht und selbst den kurz zuvor eingewechselten etatmäßigen Schützen Marco Reus überredet, ihm den Ball zu überlassen. Reumütig ließ Adeyemi das Geschehen Revue passieren: «Ich muss den Ball lieber an Marco geben, das wäre besser gewesen. Als Erstes geht es um die Mannschaft und nicht um mich.»
Terzic voll des Lobes
Doch an einem Tag wie diesem konnten alle Dortmunder Adeyemis Fehlschuss locker verschmerzen. Terzic war dennoch voll des Lobes über den laut Geschwindigkeitsmessungen schnellsten Bundesligaspieler: «Von seinen geschätzten 100 Aktionen waren 99 richtig gut. Wie er heute seine fast 37 km/h eingesetzt hat, war herausragend.» Dass auch Bellingham trotz der jüngsten Spekulationen über einen nahen Wechsel zu Real Madrid zu großer Form auflief und sich Routinier Mats Hummels als unermüdlicher Zweikämpfer Bestnoten verdiente, sprach für die Arbeit von Terzic in den vergangenen Tagen.
Kaum vorstellbar, wie eine Mannschaft mit solchen Qualitäten vor einer Woche beim Abstiegsaspiranten in Bochum (1:1) die Tabellenführung verspielen konnte. Oder sich gegen die Abstiegskandidaten Schalke (2:2) und Stuttgart (3:3) ebenfalls mit einem Remis begnügen musste. Terzic erinnerte an das Stimmungstief am vergangenen Spieltag: «Noch vor einer Woche musste ich blöde Fragen beantworten. Vielleicht ist es die Saison der Rückschläge. Aber es geht darum, immer wieder aufzustehen und zu zeigen, dass man es besser kann.»