Tim Walter ist vor der Relegation gegen den VfB Stuttgart gefordert wie nie. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa)

Tim Walter war in seinem Element. Das Drama in Sandhausen? Abgehakt. Relegation gegen den VfB Stuttgart? Die Chance. Der Trainer des Zweitligisten Hamburger SV gab wieder einmal den Optimisten.

«Ich kann ja nicht negativ denken und positiv handeln», sagte der 47-Jährige. «Das funktioniert ja nicht. Deswegen gibt es überhaupt keine negativen Gedanken.» 

Erst zwei Tage war es her, dass der HSV nach dem 1:0 im letzten Punktspiel beim SV Sandhausen schon den direkten Aufstieg gefeiert hatte und dann doch noch vom 1. FC Heidenheim in die Relegation geschickt wurde. Und nur zwei Tage vor dem Hinspiel um den letzten Startplatz in der Beletage gegen den Bundesliga-16. aus Stuttgart wollte er nicht einmal den Hauch von Zweifeln aufkommen lassen. «Jetzt erst recht», beschrieb er die Stimmung bei sich und in seiner Mannschaft.  

Walter: Stuttgart hat sich nicht über HSV gefreut

Auch für Walter geht es um einiges in der Relegation. Schon das Verpassen des direkten Aufstiegs wirkte angesichts seines über die Saison gezeigten Selbstbewusstseins wie eine persönliche Niederlage. Denn für ihn und Sportvorstand Jonas Boldt war der Nicht-Aufstieg und das Scheitern der Mission nie eine Option. Deshalb dürfte der Tiefschlag am Sonntag in Sandhausen auch Walter hart getroffen haben. Nur durfte er sich nicht lange mit seiner eigenen Befindlichkeit beschäftigen. 

Er will und muss vorangehen – und seine Mannschaft folgt ihm bedingungslos. Niemand lebt Optimismus und Entschlossenheit so vor wie er. Und das will er auch vor der zweiten Relegation ein Jahr nach dem Scheitern gegen Hertha BSC vermitteln. «Ich glaube nicht, dass sich die Stuttgarter gefreut haben, als sie gehört haben, sie spielen gegen den HSV», sagte er – ein typischer Walter-Satz. «Das wird ein tolles Spiel: Der VfB Stuttgart, toller Verein, gegen den HSV, großer Verein.»  

Walters Wir-gegen-alle-und-alle-gegen-uns-Attitüde haben seine Spieler in den vergangenen zwei Jahren verinnerlicht. Und die Haltung hat mitgeholfen, dass sie die Doping-Sperre von Innenverteidiger Mario Vuskovic, die Streitereien in der Führungsebene oder den Wirbel um den Autounfall von Jean-Luc Dompe und William Mikelbrencis wegstecken konnten. Die Mannschaft und der Trainer sind zusammengewachsen.

Walter hat Zuschauer neu für den HSV begeistert

Walters Sätze wie «Wir bleiben bei uns» oder «Wir schauen nur auf uns» sind mittlerweile feste Bestandteile im Sprachschatz seiner Spieler. Zum Zusammenhalt zwischen Trainer und Mannschaft trägt bei, dass er seine Profis nie öffentlich kritisiert , sie vor Kritik verteidigt und ihnen das uneingeschränkte Vertrauen ausspricht.  

Ebenso ist es dem Trainer gelungen, selbst im fünften Zweitliga-Jahr die Zuschauer für den HSV neu zu begeistern. Seine offensive Spielweise sorgt oft für Spektakel – und ebenso häufig für Diskussionen. Der Schnitt von deutlich mehr als 53.000 Zuschauern hat Champions-League-Niveau und ist für den Club ein wesentlicher wirtschaftlicher Faktor.

Walter kann auch stur sein. Kritik, er sei taktisch zu unflexibel oder die Deckung sei zu oft zu anfällig, lässt er nicht gelten. Obwohl der HSV oft von spielerisch minder bemittelten Mannschaften mit einfachen Mitteln in Bedrängnis gebracht worden war. Das Festhalten kann als konsequent ausgelegt werden – oder als Sturheit. 

Walter musste 2019 in Stuttgart gehen

Auch in Stuttgart eckte Walter an. Kurz vor Weihnachten 2019 musste er nach nur einem halben Jahr und 18 Spieltagen gehen. Zu dem Zeitpunkt hatten die Schwaben auf Platz drei gelegen. Der damalige Sportdirektor Sven Mislintat glaubte nicht mehr an Walters eingeschlagenen Weg. Ein Alpha-Tier war zu viel. 

Mislintat ist längst weg. Heute ist Fabian Wohlgemuth (44) Sportdirektor. Ein alter Bekannter aus Walters Kieler Zeiten. Beide pflegen ein gutes Verhältnis. «Ich kann in jedem Fall versichern, dass die Leidenschaft meiner Verbindung mit Tim Walter nicht so groß ist, dass sie irgendeinen Einfluss im Rahmen dieser Spiele haben könnte», sagte der VfB-Sportchef. 

Beim HSV ist der 41-jährige Boldt der starke Mann. Er und Walter gelten als Einheit. Beim Aufsichtsrat hatte er sich für eine Vertragsverlängerung für Walter bis Juni 2024 starkgemacht. Walter ist der erste HSV-Trainer seit dem Abstieg der Hamburger 2018, der auch für ein zweites Jahr bleiben durfte. Jetzt soll er die Mission Aufstieg erfolgreich zu Ende bringen und danach die Mission Bundesliga starten. 

Claas Hennig und Jann Philip Gronenberg, dpa

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