Die ehemalige deutsche Fußball-Nationalspielerin Nia Künzer hält die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg für beliebter als deren männliche Vereinskollegen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa)

Ralf Kellermann schleppt dieser Tage auch ein unschönes Gefühl mit sich herum: Wut.

Schuld daran tragen die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg, die Kellermann als Direktor Frauenfußball wesentlich geprägt hat – so sehr, dass sie mit ihren Erfolgen die Männersparte des Vereins längst in den Schatten gestellt haben. Sieben deutsche Meisterschaften, zehn Pokalsiege, zwei Champions-League-Titel – alles seit 2013, weil Kellermann, damals noch als Trainer, das Thema beim VfL kräftig angeschoben hat. 

Die Frage aber, ob der Frauenfußball in Wolfsburg auf Dauer den Männerfußball als Nummer eins ablösen kann, die mache ihn «wütend», sagt Kellermann vor dem nächsten Champions-League-Finale am Samstag (16.00 Uhr/ZDF und DAZN) gegen den FC Barcelona. «So ein Konkurrenzdenken gibt es bei uns nicht, wir sind ein Verein.»

Wenig Zuschauende im Männerfußball

Ein Verein, der auf dem Geschäftsfeld Männerfußball seit etlichen Jahren stagniert und mit schwindendem Zuschauerinteresse zu kämpfen hat. In der soeben beendeten Bundesligasaison war nur das Heimspiel gegen Bayern ausverkauft. Als es am Samstag für die Elf von Männer-Trainer Niko Kovac gegen Absteiger Hertha BSC (1:2) um die Qualifikation für den Europapokal ging, kamen lediglich 26.775 Fans ins 30.000 Zuschauer fassende Stadion, darunter knapp 3.000 Berliner. 

Bundesweit wirkt der VfL zunehmend wie die viel zitierte graue Maus – während die Fußballerinnen des Clubs fleißig Silberware anschleppen. «Die Frauen sorgen seit Jahren regelmäßig für internationale Reputation», sagt Gerd Voss, Leiter Sportkommunikation bei Volkswagen. Dass der Autobauer, der den Club zu 100 Prozent besitzt, längst von der Strahlkraft der Fußballerinnen profitiert, ist unbestritten. «Sie tun dem Fußball gut, dem VfL und nicht zuletzt auch VW.» Er erwartet, dass das Budget für den Frauenfußball in den kommenden Jahren weiter steigt.

Frauenfußball als mögliches Kerngeschäft

Was an klassischen Männerfußball-Standorten wie Dortmund, Schalke, Frankfurt oder München als undenkbar gilt, scheint in Wolfsburg zumindest nicht ausgeschlossen: Dass eines (fernen) Tages der Frauenfußball das Kerngeschäft des Clubs ausmachen wird – auch wenn sie beim VfL eine solche Debatte energisch abmoderieren. Man wolle die Fußballerinnen weiter «pushen, ohne auf der anderen Seite irgendetwas zu reduzieren. Diesen Ansatz gibt es nicht und macht auch keinen Sinn», sagte Kellermann. 

Die Entwicklung spricht jedenfalls für die Spielerinnen um Kapitänin Alexandra Popp, die wohl medienwirksamste Figur des gesamten Vereins. Sie sehe «viel, viel Potenzial in unserem Fall», sagte die Stürmerin, «wo das dann hinführt, da bin ich auch sehr gespannt.» 

In der Gunst der Fans stehen die VfL-Fußballerinnen schon vor den Männern des Vereins, findet Nia Künzer. «Populärer und beliebter, da würde ich mich fast für aus dem Fenster hängen, sind die Frauen von Wolfsburg», sagte die frühere Weltmeisterin der Deutschen Presse-Agentur. «Und das ist auch nicht in Zahlen oder Geld messbar. Aber das, was die Frauenmannschaft vom VfL Wolfsburg in der Öffentlichkeit darstellt, ist fast unbezahlbar – für den VfL nicht und für VW auch nicht.»

Aufstieg des Frauenfußballs

Frauenfußball boomt derzeit wie nie zuvor, das sehen sie in Wolfsburg etwa daran, dass in Eindhoven nun erstmals ein Champions-League-Finale der Frauen ausverkauft sein wird. Sie sehen aber auch, dass bei den Finanzen Frauen- und Männerfußball unverändert weit auseinander liegen. Der Frauenfußball sei «weiter defizitär», sagte VfL-Geschäftsführer Michael Meeske. «Für die Personalkosten gilt: Rund 90 Millionen Euro entfallen auf den Lizenzspielerbereich, rund fünf Millionen auf unsere Frauen, mit der Tendenz leicht steigend.»

Schwer steigend sind die Einschaltquoten. Topspiele von Wolfsburg, dem FC Bayern oder Barcelona ließen sich bei den Zuschauerzahlen längst mit Spitzenspielen in der spanischen Männer-Liga vergleichen, sagte DAZN-Programmchef Michael Bracher dem «Kicker». 

«Die Spielerinnen kommen einfach authentisch rüber, nahbar, leidenschaftlich, intelligent, diese ganzen Attribute verkörpern sie», erklärte Künzer den Wert der Fußballerinnen. Sie seien für «ganz viele Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene, Vorbilder». Zudem hätten die Spielerinnen «vielleicht auch die Nähe, die in anderen Bereichen nicht so hergestellt werden kann». In anderen Bereichen – wie dem Männerfußball.

Ulrike John, David Joram und Sebastian Stiekel

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