Für Bundestrainer Hansi Flick stehen wegweisende Spiele an. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Julian Stratenschulte/dpa)

Hansi Flick spielt mal wieder Verstecken. Der 58-Jährige gewährt in seiner richtungweisenden Bewährungswoche als Bundestrainer nur sehr spärliche Einblicke in seine Pläne für die kniffligen Länderspiele an diesem Samstag (20.45 Uhr/RTL) in Wolfsburg gegen Japan und im Anschluss gegen Frankreich.

In den beiden Partien muss Flick mit der Fußball-Nationalmannschaft einen Stimmungsumschwung im EM-Gastgeberland bewerkstelligen muss. Das Standard-Training zwei Tage vor dem Spiel durfte dabei niemand beobachten. Und auch beim 5:0 im internen Test gegen die U20-Auswahl des DFB waren auf dem Gelände des VfL Wolfsburg tags zuvor keine Beobachter zugelassen. Und doch drang Flicks brisantes Planspiel mit seinem bisherigen Mittelfeldchef und Kapitän Joshua Kimmich via «Bild» nach außen.  

Kimmich zurück auf die Außen?

Einiges deutet darauf hin, dass der 28 Jahre alte Kimmich, der sich selbst als Hauptfigur im Zentrum des deutschen Spiels sieht und begreift, wieder mal nach rechts zurück muss – also an den Rand des Spielfeldes. Dort, wo seine DFB-Karriere einst als Nachfolger von Philipp Lahm begann. Dort, wo er schon bei der letzten EM 2021 aushelfen musste – allerdings ausgesprochen widerwillig. 

Flick hat die Variante vor seiner Pressekonferenz am Tag vor der Partie nicht als fix bestätigt. Er könnte auch Benjamin Henrichs als rechten Verteidiger aufstellen. Der 26-Jährige füllt die DFB-Problemposition in Leipzig seit einiger Zeit konstant gut aus. Von Kimmich würde Flick freilich nur etwas verlangen, was er gerade als obersten Grundsatz auf dem Weg zur Heim-EM postuliert hat: «Jeder Einzelne soll und muss sein Ego hinten anstellen und sich in den Dienst der Mannschaft stellen. Der Star ist die Mannschaft, nicht der Einzelne.»      

Flick hat Kimmich schon einmal in die Außenverteidiger-Pflicht gezwungen – und zwar als Bayern-Trainer beim Champions-League-Triumph mit dem FC Bayern 2020. Da Benjamin Pavard verletzt war, musste Kimmich beim Finalturnier in Lissabon auch rechts aushelfen.

«Kernmannschaft» gesucht

Aber ist das jetzt auch die beste EM-Lösung? Schließlich will Flick nach den missglückten Länderspiel-Experimenten im März und Juni jetzt «eine Kernmannschaft» formieren. Wobei Kimmich anscheinend eine Art Hybrid-Rolle ausfüllen soll, als rechter Verteidiger, der im Vorwärtsgang ins Zentrum rutscht, während hinten aus der Vierer- eine Dreierreihe wird. Eine taktische Erfindung von Pep Guardiola bei Manchester City ist das, die jedoch viel Training und Automatismen erfordert, was bei einer Nationalmannschaft eher schwierig ist.

Flicks Kimmich-Pläne haben zudem eine Brisanz über das DFB-Team hinaus. Kimmich, der so gerne Chef sein möchte, hat immer die Zentrale als Lieblingsposition benannt. Eine Rückversetzung nach rechts dürfte er als Abstufung empfinden. Insbesondere vor der großen Sechser-Debatte dieses Sommers beim FC Bayern, wo Trainer Tuchel unbedingt eine sogenannte «holding six» haben wollte. «Wir haben nicht einen defensiven Sechser, der mehr an den Schutz der hinteren Zone denkt», hatte Tuchel argumentiert. 

Die Verpflichtung des portugiesischen Nationalspielers João Palhinha vom FC Fulham zerschlug sich zum Unwillen von Tuchel am letzten Tag der Transferperiode, was zu einem weiteren großen Politikum in München wurde. Kimmich oder auch der von Flick aktuell aussortierte Leon Goretzka verfolgten die Sechser-Debatte aufmerksam – und spürbar irritiert. «Ich bin ein Sechser», sagte Kimmich während der Asienreise des FC Bayern im Sommer. Es klang dabei eher so: «Ich! Bin! Ein! Sechser!»

Positionswechsel zur Unzeit

Ein Positionswechsel im Nationalteam käme für Kimmich quasi zur Unzeit. Sie wäre seinem Führungsanspruch nicht förderlich. Flick tendiert dazu, den Dortmunder Emre Can zu seiner «holding six» zu ernennen und Triple-Gewinner Ilkay Gündogan zum Denker und Lenker des Mittelfeldspiels. Einige Jahre lang war das Mittelfeld nicht nur bei Bayern, sondern auch im DFB-Team das gemeinsame Revier von Kimmich und Goretzka.

Kimmich steht auch in dieser Woche – neben Flick – im Zentrum der Debatten. Er wollte – sozusagen als Klassensprecher der vermeintlich goldenen 1995er-Generation um Goretzka, Gnabry, Süle – eine Ära in der Nationalmannschaft prägen. Bislang steht die Generation Kimmich jedoch für die WM-Flops 2018 und 2022 sowie das frühe EM-Aus vor zwei Jahren. An Kimmich als Stammkraft rütteln allerdings weder Flick noch Tuchel. Der Bayern-Coach nennt Kimmich gerne «unseren Strategen, der alles machen will und alles kann». Aber es läge nicht in «Kimmichs DNA, ein rein defensiver Sechser zu sein». Dieser sollte ihm als Hilfe dienen.

Am Samstag (20.45 Uhr/RTL) läuft Kimmich zum 80. Mal für Deutschland auf. Nur der nachnominierte Bayern-Kollege Thomas Müller kann im DFB-Kader mit 121 mehr Einsätze vorweisen. Und doch dürfte sich Kimmich in eine neue Rolle einfügen müssen.

Von Klaus Bergmann und Jan Mies, dpa

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