Andreas Rettig wird der neue Geschäftsführer Sport beim Deutschen Fußball-Bund. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa)

Vor einem Jahr wurde Andreas Rettig von Uli Hoeneß noch als «König der Scheinheiligen» bezeichnet, jetzt soll er den deutschen Fußball zurück zu altem Glanz führen. Mit der Ernennung des streitbaren Funktionärs zum Geschäftsführer Sport hat der Deutsche Fußball-Bund für eine große Überraschung gesorgt.

Inmitten der nicht nur für Matthias Sammer «größten Krise in der jüngeren Vergangenheit» und der kniffligen Suche nach einem neuen Bundestrainer setzt der Verband auf den zwar sehr erfahrenen, aber nicht immer kompromissfreudigen Rettig als stärksten Mann im operativen Geschäft.

Rettig verantwortet künftig die Bereiche Nationalmannschaften und Akademie und tritt neun Monate vor der Heim-EM die Nachfolge von Oliver Bierhoff an, der nach dem WM-Debakel seinen Posten räumen musste. Für die komplexe Aufgabe sei der 60-Jährige mit seiner Art genau der Richtige, meint DFB-Präsident Bernd Neuendorf: «Mit Andreas Rettig haben wir einen überaus erfahrenen, engagierten und durchsetzungsstarken Geschäftsführer gewonnen.» Für die Erledigung der vielfältigen administrativen Aufgaben rund um die Nationalmannschaften und die Akademie bedürfe es «einer starken Persönlichkeit». Am Montag (12.00 Uhr) werden sich Neuendorf und Rettig auf dem DFB-Campus auf einer Pressekonferenz weiter äußern.

Auch Alexander Wehrle, Aufsichtsratsvorsitzender der DFB GmbH & Co KG, traut Rettig die große Aufgabe zu. Der Vorstandsvorsitzende des VfB Stuttgart hob die «umfassenden Kompetenzen» des neuen Geschäftsführers hervor, der zudem «ein Kind der Bundesliga» sei und den Fußball «aus allen Perspektiven» kenne. 

Erfahrener Manager

Rettig ist seit bald vier Jahrzehnten im Fußball tätig, von 2013 bis 2015 leitete er als Geschäftsführer die Deutsche Fußball Liga. Der Fußball-Lehrer war zudem auch Manager bei Bayer Leverkusen, dem SC Freiburg, 1. FC Köln sowie FC Augsburg und fungierte beim FC St. Pauli als Geschäftsleiter und bei Viktoria Köln als Vorsitzender der Geschäftsführung. Er wolle dazu beitragen, «künftige Erfolge der Nationalmannschaften wieder möglich zu machen und die Ausrichtung des DFB und das Auftreten seiner Mannschaften in allen Richtungen zu verbessern».

Dass er dabei auch den Finger in die Wunde legen wird, dürfte wenig überraschen. In der jüngeren Vergangenheit hatte Rettig nicht mit Kritik auch am DFB gespart. «Der deutsche Fußball hat irgendwann verpasst, den Hebel umzulegen», hatte er Mitte August dem Onlineportal «Watson» gesagt. Im Verband habe man in der Nachwuchsarbeit «Dinge zu lange vor sich hergeschoben», ergänzte der frühere Kommissionsvorsitzende bei der Einführung der Nachwuchsleistungszentren.

Mit seiner Meinung hält Rettig nur selten hinter dem Berg, auch wenn es ihm mitunter Ärger einbringt. Im September 2022 waren er und Bayern Münchens Ehrenpräsident Uli Hoeneß verbal aneinander geraten. Rettig hatte in der Sport1-Sendung «Doppelpass» die WM-Vergabe an Katar scharf kritisiert, weshalb er vom spontan telefonisch zugeschalteten Hoeneß als «König der Scheinheiligen» bezeichnet wurde. Rettig konterte und nannte Hoeneß einen «Katar-Lobbyisten». 

Die WM im von Menschenrechtsorganisationen kritisierten Katar wollte Rettig größtenteils boykottieren und stattdessen «in die Kneipen gehen, die den Slogan „Kein Katar in meiner Kneipe“ umsetzen». So eine strikte Haltung kann er sich nun wohl nicht mehr erlauben.

Rettig als Krisenmanager gefragt

In seiner Geschäftsführungsposition ist Rettig formal den Sportdirektoren Rudi Völler (Männer-Nationalmannschaft) und Hannes Wolf (Nachwuchs, Training und Entwicklung) vorgestellt. Inwieweit er schon bei der Suche nach einem neuen Bundestrainer involviert ist, ließ der DFB in seiner Pressemitteilung offen. Doch auch bei der Frauen-Nationalmannschaft, die bei der WM vor einigen Wochen ebenfalls in der Gruppenphase gescheitert war und derzeit auf die erkrankte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg verzichten muss, ist Rettig als Krisenmanager gefragt.

Eine Kandidatin für die Bierhoff-Nachfolge war auch die frühere Weltfußballerin Nadine Keßler. Die Abteilungsleiterin bei der Europäischen Fußball-Union hatte sich aber nach eigener Aussage vergangene Woche «von den Gesprächen zurückgezogen», um ihre derzeitige Rolle bei der UEFA «mit ganzem Herzen weiterzuführen». Der Beschluss von Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung pro Rettig sei einstimmig ausgefallen, teilte der DFB mit.

Von Jörg Soldwisch und Eric Dobias, dpa

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