Kai Havertz spielte in der Nationalmannschaft auf der linken Abwehrseite. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Robert Michael/dpa)

Kai Havertz verschwand wortlos im Teambus. Der neue Linksverteidiger der Fußball-Nationalmannschaft, der kein Linksverteidiger ist, zog sich nach seiner «Achterbahnnacht» zurück.

Dafür sagte der Bundestrainer Sätze, die der immer noch erst 24-Jährige öffentlich schon länger nicht mehr so deutlich gehört hat. «Er ist ein Weltklassespieler», betonte Julian Nagelsmann, der hauptverantwortlich dafür war, dass nach dem 2:3 gegen die Türkei und vor dem Jahresabschluss am Dienstag (20.45 Uhr/ZDF) in Wien gegen Österreich ausgiebig über Havertz gesprochen wurde.

Im veränderten System des Bundestrainers spielte Havertz, der schon ein Champions-League-Finale entschieden hat, völlig überraschend in der Defensivbewegung auf der linken Abwehrseite. Bei eigenem Ballbesitz rückte er mit nach vorne. Eher wie «ein linker Zehner», erklärte Nagelsmann. Zum Überfluss der Aufmerksamkeit erzielte Havertz wie ein Stürmer die Führung (5.) und verursachte wie ein Innenverteidiger den Handelfmeter zum Endstand (70.).

Lob vom DFB-Boss

«Kai ist richtig gut und kann auf sechs Positionen spielen», sagte Nagelsmann in der ARD. «Ich finde es immer lustig, dass man Weltklassespielern nicht zutraut, auf einer ein bisschen anderen Position zu spielen.» Über Tennisprofis würde auch nicht gesagt, sie könnten es «nur auf Sand, und auf Gras geht gar nichts».

DFB-Präsident Bernd Neuendorf lobte beim TV-Sender Bild: «Ich fand auch, dass Kai das gar nicht schlecht gemacht hat, nicht nur wegen des Tores, auch seine Seite hat er, glaube ich, relativ gut bespielt.»

Havertz war in den vergangenen Monaten nicht unbedingt der Spieler, der sich alles auf jedem Belag zutraut. Der frühere Leverkusener erlebt seit seinem Wechsel vom FC Chelsea zum FC Arsenal im Sommer eine schwere Zeit. «Der Deutsche konnte bisher nicht zeigen, warum Arsenal 65 Millionen Pfund für seine Dienste bezahlt hat», schrieb das Boulevardblatt «Mirror» und urteilte über die «Achterbahnnacht» im Berliner Olympiastadion, Havertz sei «vom Helden zum Schurken» geworden.

Havertz und das riesige Potenzial

In der DFB-Auswahl wurde der 24-Jährige in den vergangenen Monaten immer mal wieder hin und her geschoben, so weit nach hinten aber noch nie. Als Stürmer oder hängende Spitze war Havertz meist nur Ersatz oder Aushilfe, seinem zweifellos vorhandenen, riesigem Potenzial zum Trotz. Und dann hatte Nagelsmann seine Idee, die nicht unbedingt nur mit der Absage von Schienenspieler Robin Gosens zu tun hatte.

«Es ist eine sehr, sehr große Chance, eine tragende Rolle bei der Heim-EM zu spielen», sagte der Bundestrainer, und das klang sehr danach, dass er gegen die Türkei nicht bloß experimentieren wollte. «Nicht hop-on, hop-off zu spielen, sondern dauerhaft, ein Topspieler bei so einer EM zu sein.» Mit so einer Perspektive sollte «man einmal ins Bett gehen, aufwachen und sagen: Ich mache das. Genau so hat er es gemacht», berichtete der Bundestrainer.

In der öffentlichen Wahrnehmung (und Gunst) für Kreativ-Offensive war Havertz zuletzt von Florian Wirtz dank dessen überragendem Bundesliga-Start mit Bayer und erst recht von Bayerns derzeit fehlendem Jungstar Jamal Musiala (beide 20) überholt worden. Nagelsmann sagte aber: «Ich habe schon die Idee, dass wenn wir drei Weltklassespieler haben, drei auf den Platz bringen, und wenn wir zehn haben, dass auch alle zehn spielen.»

Jan Mies und Arne Richter, dpa

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