Die Nationaltorhüter Marc-André ter Stegen (l) und Manuel Neuer beim Torwarttraining auf dem Platz. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Arne Dedert/dpa)

Kurz vor dem ersehnten Comeback als Nummer eins in der Fußball-Nationalmannschaft ist Manuel Neuer von einer erneuten Verletzung gestoppt worden.

Der 37-Jährige vom FC Bayern München wollte 15 Monate nach seinem schlimmen Beinbruch am Samstag (21.00 Uhr/ZDF) im EM-Testkracher gegen Frankreich in Lyon seine Rückkehr im DFB-Tor feiern. Doch ein Muskelfaserriss im Oberschenkel machte die ehrgeizigen Pläne des Weltmeisters von 2014 und die von Bundestrainer Julian Nagelsmann abrupt zunichte.

Nach dpa-Informationen sollte Neuer in Kürze von Nagelsmann zum Stammtorwart für die Heim-EM im Sommer ernannt werden. Was die Blessur für diese Überlegungen bedeutet, war vorerst unklar. Am Nachmittag reiste Neuer aus dem Teamhotel in Gravenbruch bei Frankfurt ab, wie der DFB mitteilte. Auch für den FC Bayern ist das eine schlechte Nachricht kurz vor den Viertelfinalspielen in der Champions League gegen den FC Arsenal.

Der Tag hatte für Neuer blendend begonnen. Mit einem Lächeln schritt der Torhüter im Frankfurter Sonnenschein auf den Trainingsplatz der DFB-Akademie. Lässig warf er einen Ball in die Höhe. Deutlich vor seinen Torwartkollegen um den ewigen Rivalen Marc-André ter Stegen meldete sich der Münchner zur nächsten Übungseinheit für das Frankreich-Duell bereit. Als Nummer eins – auch für die Heim-EM. Mit der Verletzung ist nun wieder vieles auf Hold. Sein Länderspiel-Comeback könnte er nun erst der unmittelbaren EM-Vorbereitung am 3. Juni gegen die Ukraine in Nürnberg geben – elf Tage vor dem Turnier-Eröffnungsspiel in München gegen Schottland.

Bei seiner Rückkehr in den DFB-Zirkel nach der langen Zwangspause als Folge des schlimmen Unterschenkelbruchs bei einem Ski-Unfall im Anschluss an die WM 2022 strahlte Neuer in der Woche vor seinem 38. Geburtstag mit Mimik, Gestik und jeder einzelnen Parade aus, dass er bei der Europameisterschaft im Sommer beim achten großen Turnier in Serie natürlich im deutschen Tor stehen will.

ter Stegen der zu erwartende Stellvertreter

Eine offizielle Bekanntgabe der Personalie stand noch aus. Der Bundestrainer sollte sich am Abend bei einer Fragerunde mit Fans sicherlich auch zu dem Thema äußern. Wer nun gegen Frankreich und die Niederlande im Tor stehen wird, war offen – genau wie die EM-Frage. In der Hierarchie der noch anwesenden Torhüter ist ter Stegen der zu erwartende Stellvertreter für die Spiele in Frankreich und danach in Frankfurt gegen die Niederlande.

Der 31-Jährige vom FC Barcelona war auch in Neuers Abwesenheit dessen erster Ersatzmann gewesen und hatte sich Hoffnungen auf die Rolle als Stammtorwart bei der EM im Sommer gemacht. Neben ter Stegen gehören noch Bernd Leno vom FC Fulham und Oliver Baumann von der TSG Hoffenheim zum aktuellen Aufgebot.

Die Verkündung von Nagelsmann fürchtete Neuer offenkundig nicht. «Ich konzentriere mich auf mich, auf meine Leistung und werde bei der Nationalmannschaft wieder alles geben», hatte der Bayern-Schlussmann am vergangenen Wochenende nach dem Sieg in Darmstadt zu seinen Ambitionen gesagt und ergänzt: «Der Trainer wird dann entscheiden.»

Und Nagelsmann konnte diese Personalie mit der Gewissheit angehen, dass er auf der Torhüter-Position kein Problem hat. «Wir haben Top-Torhüter auf dieser Position», sagte Abwehrchef Antonio Rüdiger nach dem Training.

«Die Gespräche werden wir führen und dann entscheiden, mit welcher Herangehensweise wir die beiden Spiele gestalten», sagte Nagelsmann bei seiner Kader-Bekanntgabe noch ausweichend auf die Fragen nach dem EM-Torwart. Dennoch: Sein Grundprinzip der Rollenverteilung für alle Positionen mit einer Stammkraft und einem Backup wendet er eben auch bei den Torhütern an.

Jahrelanges Duell zwischen Neuer und ter Stegen

Neuer gegen ter Stegen, dieser Torwart-Zweikampf hat seit Jahren Tradition. Und immer war am Status von Neuer nicht zu rütteln, wenn es wirklich wichtig wurde. Bei vier Welt- und drei Europameisterschaften stand er seit 2010 im DFB-Tor. Nur als der damalige Bundestrainer Joachim Löw mit einem Perspektivkader zum Confederations Cup 2017 nach Russland fuhr, durfte der ewige Stellvertreter ter Stegen als Nummer eins bei einem Turnier auflaufen und die Siegertrophäe in St. Petersburg in die Höhe strecken.

Die überwältigende Mehrheit der Experten schien sich auch jetzt sicher: Neuer steht am 14. Juni im EM-Eröffnungsspiel gegen Schottland in München im DFB-Tor. Dabei weiß der Bayern-Torwart aus den Anfängen seiner Länderspielzeit, dass es keine Sicherheiten gibt. Bei der WM 2010 wurde er nur zur Nummer eins, weil René Adler sich eine Rippenverletzung im Saisonendspurt zuzog.

Neuer fehlt wohl über die Länderspielpause hinaus

Ungewiss ist, wie lange Neuer pausieren muss. Er dürfte den Bayern aber über die Länderspielpause hinaus nicht zur Verfügung stehen. Die erste Partie ist am 30. März in der Bundesliga gegen Borussia Dortmund. Am 9. April findet das Hinspiel gegen Arsenal in London statt.

Eine Torwart-Debatte vor einem großen Heimturnier ist nichts Neues. Jürgen Klinsmann degradierte als Bundestrainer Oliver Kahn wenige Wochen vor dem WM-Sommermärchen 2006 zur Nummer zwei hinter Jens Lehmann. Es war eine Entscheidung mit Fußball-Sprengkraft. Der aktuelle Verlierer wird sich aber an der Reaktion des Titans orientieren können. Als loyaler Stellvertreter erntete Kahn beim Sommermärchen viel Lob.

Die jüngsten Turnier-Enttäuschungen der DFB-Elf 2018, 2021 und 2022 konnte auch Neuer nicht verhindern. Der Bayern-Schlussmann kommt nach seinem erfolgreichen Club-Comeback aber mit einer Statistik-Wucht in seiner Länderspiel-Quote daher: 77 Siege, 21 Remis und nur 19 Niederlagen mit weniger als einem Gegentor pro Spiel stehen in seiner DFB-Bilanz. 47 Mal spielte er seit 2009 mit dem Adler auf der Brust zu null. Und ter Stegen: 20 Siege, 8 Remis und zehn Niederlagen mit 50 Gegentoren. Diese Zahlen waren für Nagelsmann an dem turbulenten Torwart-Tage aber plötzlich nicht mehr von Bedeutung.

Von Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa

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