Wird die Nationalelf erstmals als Kapitän in ein Turnier führen: Ilkay Gündogan. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa)

Auf dem Mannschaftsfoto saß Ilkay Gündogan am Tag vor dem EM-Anpfiff neben Leroy Sané und Ersatztorwart Marc-André ter Stegen in der ersten Reihe. Die Position im Vordergrund muss der Musterprofi des FC Barcelona bei der Heim-EM freilich auf dem Spielfeld erst noch mit Leistung und vor allem Führungsstärke unterfüttern.

Im reifen Alter von 33 Jahren wird Gündogan die Fußball-Nationalmannschaft erstmals als Kapitän in ein Turnier fühlen. Trotz der prominenten Rolle, die ihn im deutschen Kader hervorhebt, wird vor dem Eröffnungsspiel am Freitag (21.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) bereits über Gündogan diskutiert. Taugt er zum Leader, der Deutschland zum Titel führt?

WM-Titel verpasst: «2014 war ich leider verletzt»

77 Mal ist Gündogan seit seinem Debüt am 11. Oktober 2011 beim 3:1 in Düsseldorf gegen Belgien für Deutschland aufgelaufen. Und doch sind nur wenige Länderspiele in Erinnerung geblieben, die er prägen konnte. Geschweige denn Turniere. Mit der Diskrepanz zwischen den großen Erfolgen und dem Star-Status als Vereinsspieler und der häufigen Mitläufer-Rolle im Nationaltrikot musste sich Gündogan schon öfter auseinandersetzen.

Die DFB-Karriere meinte es bislang nicht gut mit ihm. Er fehlte meist, wenn es gut lief. Und er war dabei, wenn es schiefging. «Gerade die Ergebnisse der letzten Jahre waren nicht so prickelnd», sagte Gündogan vor dem EM-Start im Quartier in Herzogenaurach. «Ich bin schon seit der EM 2012 dabei. 2014 sind wir Weltmeister geworden, da war ich leider verletzt.» Sonst wäre er neben Manuel Neuer, Toni Kroos und Thomas Müller der vierte Rio-Held im Aufgebot von Bundestrainer Julian Nagelsmann. «Seit 2018 hatten wir jetzt drei Turniere, wo wir richtig schlecht waren.» Und bei seiner Fußball-Vita werde der Unterschied zwischen Vereins- und Nationalmannschaftserfolgen «einfach ein bisschen klarer».

Kroos im Zentrum, Gündogan weiter vorn

Gündogan ist keiner, der auf dem Platz rumbrüllt, Gegner weggrätscht oder sich vor dem Schiedsrichter aufplustert. Gündogan ist ein leiser Kapitän, der durch Leistung führen will. «Einen kleinen Vertrauensvorschuss für das Turnier», würde er sich wünschen. Das äußerte er ausdrücklich mit Blick auf die Mannschaft. Aber der Satz trifft auch auf ihn selbst zu.

Zumal das DFB-Comeback von Toni Kroos dazu geführt hat, dass der Bundestrainer ihn aus dem Mittelfeldzentrum von der Sechs weiter nach vorn auf die Zehner-Position verschob, zwischen die Jungstars Jamal Musiala und Florian Wirtz. Gündogan soll die «Zauberer» zum Glänzen bringen. Und im Hintergrund lauert Leroy Sané, der in die Startelf drängt. Nur wenn sich Kroos und Gündogan in ihren jeweiligen Revieren ergänzen, ist alles gut.

Nagelsmann braucht vorne «einen Rhythmusgeber»

Nagelsmann weiß, dass er vorn einen Ordnungshüter braucht, der die Jüngeren lenkt und anleitet. «Ilkay ist ein Spieler, der uns viel Rhythmus geben kann. Er gibt uns Ruhe, Struktur und er kombiniert viel mit einem Kontakt in der roten Zone. Wir werden Spiele haben, wo wir einen Rhythmusgeber vorne brauchen», betonte der Bundestrainer.

Ein Freifahrtschein durchs Turnier ist das aber nicht. Das weiß auch Gündogan, der nach «einer der härtesten Saisons meiner Karriere» beim FC Barcelona müde in die Vorbereitung gestartet war. Aber jetzt muss er liefern gegen Schottland, Ungarn und die Schweiz, um die Zweifel an ihm zu zerstreuen. Er ahnt, dass die Kapitänsbinde keine Einsatzgarantie ist. «Der moderne Fußball hat sich verändert. Er ist nicht mehr so strukturiert, dass man sagt, der Kapitän muss immer spielen. Dafür ist die Leistungsdichte einfach zu groß», sagte er.

Guardiola rühmt: «Einer der klügsten Spieler»

Gündogan ist nicht unantastbar. Sein Ego stellt er aber nie über den Teamerfolg. Musiala und Wirtz kennen nach mehreren Länderspielen in der neuen Offensiv-Konstellation den Wert des zwölf Jahre Älteren. «Ilkay ist ein Connector mit uns. Er hat die Verantwortung, auch gegen den Ball», sagte Musiala. Wirtz bezeichnete den Kapitän ebenfalls als «Verbindungsspieler», der die Jüngeren «mit seiner Erfahrung gut unterstützen kann».

Für Startrainer Pep Guardiola ist es unverständlich, an Gündogan zu zweifeln. Dieser war sein Spielführer, als Manchester City 2023 fünf Titel gewann, darunter die Champions League. «Ilkay redete nicht viel, aber wenn er redete, hörten alle zu, auch ich als Manager. Er war klar und geradeaus. Er ist ein sehr kluger Spieler, einer der klügsten, die ich jemals trainiert habe. Er war ein Schlüssel zu unserem Erfolg», sagte Guardiola dem «Stern».

Die Spielintelligenz hebe Gündogan aus der Masse heraus. Guardiola prophezeit Gündogan darum auch eine große Zukunft nach der Spieler-Karriere. «Es war ein Vergnügen, mit Ilkay über Taktik zu reden. Er sieht das große Bild, und er sieht die Feinheiten. Die Zellen, aus denen ein Fußballspiel besteht. Ich bin überzeugt, dass er später mal ein großer Trainer werden wird.» Davor will Gündogan aber das DFB-Team zum maximalen EM-Erfolg führen.

Von Klaus Bergmann und Arne Richter, dpa

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