Bundestrainer Julian Nagelsmann (l) und Co-Trainer Sandro Wagner haben in der Angriffsfrage die Qual der Wahl. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Niclas Füllkrug schnappte sich erst einmal Antonio Rüdiger. Herzlich nahm der Top-Torjäger den Abwehrchef beim Abschlusstraining der Fußball-Nationalmannschaft in Herzogenaurach in den Arm. Gut, dass du wieder da bist, mochte die Szene zum Ausdruck bringen.

Kai Havertz trabte kurz darauf beim Warmmachen neben Rüdiger, der im EM-Achtelfinale gegen Dänemark am Samstag (21.00 Uhr/ZDF/Magenta TV) nach seiner Zerrung womöglich doch spielen kann. Ob dann Füllkrug oder Havertz am anderen Ende den Tor-Auftrag in der Startelf bekommen, bleibt ein größeres Rätsel – und für die Fans die spannende Frage.

Wie denkt Julian Nagelsmann? Und wie entscheidet er? Der bisherige Turnierverlauf gibt Argumente für beide Varianten.

Das spricht für Füllkrug:

– Die Torquote: 13 Tore in 19 Länderspielen. Das ist eine sehr gute Ausbeute. Wenn Füllkrug spielt, dann trifft er fast immer. Vier Turniertore in fünf Spielen bei WM- und EM-Einsätzen sind die nächste statistische Größe. Alle vier schoss er als Joker. Rechnung: Mehr Spielzeit, mehr Tore. Warum soll er in 90 Minuten nicht sogar öfter treffen?

– Das Momentum: Nagelsmann hat ein gutes Gespür für das gewisse Etwas, für den Flow. Und wer schwebt gerade durch diese EM, wenn nicht der Koloss Füllkrug? Es fühle sich «so ein bisschen Sommermärchen-mäßig» an, sagte der 31-Jährige. Der Bundestrainer sollte diese Energie nicht verschwenden.

– Der Fan-Faktor: Ausverkauftes Stadion. Südtribüne. Und der Dortmunder Lokalheld auf dem Platz. Das gibt einen Push und elektrisiert die Fans. Die sind mehrheitlich ohnehin für ihren «Fülle», den Profi zum Anfassen. Nagelsmann könnte besondere Emotionen freisetzen.

Das spricht für Havertz:

– Die Leistung: Die Qualität von Havertz steht außer Frage. In allen drei Gruppenspielen zeigte er gute Auftritte, übernahm Verantwortung beim Elfmeter gegen Schottland. Ihm sein 50. Länderspiel jetzt zu verwehren, passt überhaupt nicht zur Personalstrategie von Nagelsmann. Und wäre auch ins Team, das die Rollenphilosophie lebt, ein schlechtes Signal.

Sogar Füllkrug räumt glaubhaft ein: «Man versteht hier ganz, ganz extrem, dass das große Ganze wichtiger ist», sagte er. Und: «Ich würde es sofort unterschreiben, jetzt Europameister zu werden, auch wenn ich weiter von der Bank komme.»

– Die Taktik: Mit seiner Technik passt Havertz perfekt zum notwendigen Profil gegen sperrige Dänen. Jamal Musiala und Florian Wirtz profitieren von dem Arsenal-Angreifer. Müde gespielten Dänen kann Füllkrug dann den Rest geben. Es muss im Spielverlauf auch nicht heißen Havertz oder Füllkrug. Beide wären sichere Elfmeterschützen.

– Der Fan-Faktor: Es klingt komisch. Aber gerade die Emotionen der Zuschauer sind ein Argument für Havertz als Startstürmer und Füllkrug als Joker. Gesetzt den Fall, es läuft nicht, dann wäre seine Einwechslung ein besonderes Signal, ein Weckruf. Der Lärmpegel wäre enorm, das Team würde angespornt. Füllkrug ist das Faustpfand für Nagelsmann.

… oder spielen am Ende beide?

– der Wirtz-Faktor: Viermal brachte Nagelsmann in diesem Jahr den Joker Füllkrug für den Startelf-Spieler Havertz. Aber es war auch schon anders. In der Schlussphase des EM-Tests gegen Griechenland standen beide auf dem Platz – das Spiel wurde spät 2:1 gewonnen. Auch gegen die Schweiz stürmten am Ende Havertz und Füllkrug, der den späten 1:1-Ausgleich köpfte. Undenkbar ist die Variante also nicht: Füllkrug ganz vorne, Havertz hängend.

Doch wer müsste raus? Florian Wirtz, der nach seinem Turbostart gegen Schottland (5:1) abbaute? Sportdirektor Rudi Völler sieht die Variante nicht. «Ich kann mir im Moment schwer vorstellen, dass er nicht aufläuft», sagte er über Wirtz. Bleibt also doch die Frage: Füllkrug oder Havertz?

Von Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa

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