Will erst nach der EM über seine Zukunft in der Nationalmannschaft entscheiden: Torwart Manuel Neuer. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa)

Als Erster schritt Manuel Neuer wie so oft Richtung Trainingsplatz. Auch wenn er nicht mehr der Kapitän ist, vorangehen will der Teamsenior trotzdem.

Mit durchgedrücktem Kreuz saß der 38-Jährige, der altersmäßig sogar Bundestrainer Julian Nagelsmann noch um zwei Jahre übertrifft, vor seinem EM-Rekordspiel gegen Ungarn dann am Montag zur Mittagszeit auch auf dem Podium im DFB-Medienzentrum. 

Und in dem 22 Minuten währenden Frage-und-Antwort-Spiel mit den Journalisten moderierte der ewige deutsche Turniertorwart in der positiven Stimmung des 5:1 der Fußball-Nationalmannschaft gegen Schottland die Zweifel an seinem Leistungsvermögen nach ungewohnten Patzern vor dem EM-Anpfiff kurzerhand ab. 

«Ich habe mir um die Debatte keine großen Gedanken gemacht», sagte Neuer. Nichts lesen, nichts hören, das war seine Marschroute. Für ihn zählt die Innenansicht, die interne Analyse und Bewertung der Bilder, die zum Beispiel beim Gegentor der Griechen bei der knapp gewonnenen Turnier-Generalprobe gegen ihn sprachen. Die aber kein Umdenken bei Bundestrainer Julian Nagelsmann auslösten, der beim Heimturnier wieder auf ihn setzt und nicht auf Neuers ewigen Rivalen Marc-André ter Stegen. 

«Diskussionen aufzumachen, hilft uns nicht»

«Wichtig ist, dass man zusammenhält. Diskussionen aufzumachen, hilft uns nicht», sagte Neuer. Entscheidend sei das intakte «Vertrauensverhältnis» mit den Teamkollegen und dem Trainerteam. «Entsprechend war mein Fokus auf das erste Spiel gegen Schottland gerichtet, auf die Gruppenphase und die nächsten Spiele.» 

Dass Neuer in der langen Abwesenheit nach dem komplizierten Beinbruch im Anschluss an die WM 2022 die Kapitänsbinde abgeben musste, mindert seinen Wirkungsgrad und Einfluss im DFB-Team kaum. Er fühle sich weiter «als verlängerter Arm des Trainers». Das belegen dann Bilder, die ihn bei den Spielen immer wieder an der Seitenlinie im intensiven taktischen Austausch mit Nagelsmann zeigen.

Beim Start in seine vierte EM als Nummer eins waren die Schotten zu harmlos, um Neuer in Bedrängnis zu bringen. Auch das späte, unglückliche Eigentor von Antonio Rüdiger konnte ihm niemand negativ auslegen. «Für mich persönlich war es ein wirklich guter Start, unabhängig davon, dass ich hinten keine krassen Aktionen hatte», sagte Neuer. 

Gute Nachricht: Gündogan trainiert und ist fit

Schon am Mittwoch (18.00 Uhr/ARD/MagentaTV) in Stuttgart gegen Ungarn könnte sich Neuers Arbeitsaufkommen erhöhen. Die Ungarn stehen nach ihrem 1:3-Fehlstart gegen die Schweiz im zweiten Gruppenspiel schon mächtig unter Druck. «Es ist eine unangenehme Mannschaft», weiß Neuer. Und eine, gegen die sich das deutsche Team in jüngerer Vergangenheit schwertat. Auf ein 2:2 bei der letzten EM 2021 in München folgten im Jahr darauf ein 1:1 und ein 0:1 in der Nations League. «Ungarn wird eine andere Nummer als Schottland», mahnte Neuer darum. Aber sein Glaube an ein erfolgreiches Nachlegen ist groß: «Wir versuchen, in diesem Flow zu bleiben.» 

Die Voraussetzungen sind gegeben. Nagelsmann kann wieder seine Wunschelf um die Jungstars Jamal Musiala und Florian Wirtz aufbieten. Denn auch Kapitän Ilkay Gündogan konnte am Montag in Herzogenaurach nach dem üblen Tritt des Schotten Ryan Porteous gegen seinen rechten Fuß ohne erkennbare Probleme trainieren. Und die Stimmung passte zum Sonnenschein in Franken. Sie war zeitweise sogar ausgelassen wie bei Antonio Rüdiger und Leroy Sané, die lachend durch einen Rasensprenger hüpften.

Völlig losgelöst, aber «mit den Füßen am Boden»

Völlig losgelöst, aber nicht abgehoben – so nimmt der erfahrene Neuer das Klima in der «guten, bunten Mischung» aus älteren und jüngeren Teammitgliedern wahr. Dass sich alle über das Gegentor der Schotten arg geärgert hätten, wertete er als «gutes Zeichen», dass die Einstellung stimmt, um wie zuletzt bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien wieder Großes erreichen zu können. «Wir sind mit den Füßen auf dem Boden», sagte Neuer. 

Der Bundestrainer sieht’s genauso. Und darum bremst Nagelsmann die Euphorie des Traumstarts nicht. «Ich bin kein Mahner», betonte er. Statt Tiefstapelei setzt er auf eine breite Brust und einen Eiltempo-Einzug ins Achtelfinale. «Ich bin guter Dinge, dass wir gegen Ungarn gewinnen können. Wir versuchen, ein ähnlich gutes Spiel zu machen wie gegen Schottland.»

Neuer und der Buffon-Rekord

Das 121. Länderspiel wird Neuer eine weitere Rekordmarke als Torwart bescheren. Es ist sein 17. EM-Einsatz. Damit zieht er mit dem großen Italiener Gianluigi Buffon als Schlussmann mit den meisten EM-Spielen gleich. «Das hört sich auf jeden Fall gut an», sagte Neuer, für den der heute 46-jährige Buffon einst ein Vorbild war. Wichtiger als persönliche Bestmarken seien ihm aber «die Ziele mit der Mannschaft». Der EM-Titel fehlt ihm noch in seiner Vita. 

Übrigens: Buffon bestritt sein letztes von 167 Länderspielen rund zwei Monate vor seinem 40. Geburtstag. In weiter Ferne liegt auch Neuers Karriere-Ende im DFB-Tor nicht mehr. Ist die EM sein letztes großes Turnier? «Das kann ich jetzt noch nicht verraten. Ich werde mir Gedanken nach dem Turnier machen», antwortete er. Im EM-Camp verbringt Neuer viel Zeit mit seinen Weltmeister-Kollegen Toni Kroos und Thomas Müller. Und vielleicht bespricht er das Thema mal mit dem 34-jährigen Kroos, der seine große Karriere nach der EM beendet.

Von Klaus Bergmann und Arne Richter, dpa

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