Musste einen weiteren Rückschlag als Bundestrainer hinnehmen: Hansi Flick. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Hansi Flick klangen die lauten Pfiffe und Unmutsbekundungen in den Ohren, als er nach dem dritten Testspiel-Flop sofort in den Katakomben der Schalker Arena verschwand. Seine Spieler ließ der Bundestrainer frustriert auf dem Rasen zurück.

Die Ratlosigkeit war groß nach dem 0:2 (0:0) gegen Kolumbien. Der EM-Gastgeber Deutschland taumelt mit einer verunsicherten Nationalelf und noch größeren Zweifeln an Flick in die Sommerpause. Auf das wilde 3:3 gegen die Ukraine und das ernüchternde 0:1 in Polen folgte zum Abschluss einer desaströsen WM-Saison ein hilfloser Auftritt gegen ein klar besseres Team aus Kolumbien. 

«Ich bin sehr enttäuscht, dass wir nicht das umsetzen, was wir uns vorgenommen haben. Wir wollten etwas ausprobieren, das ging in die Hose. Die Argumente sind nicht auf unserer Seite», sagte Flick beim TV-Sender RTL und fügte hinzu: «Wir müssen im September eine andere Leistung, eine andere Bereitschaft zeigen. Es fehlt uns der Tick, vielleicht auch das Selbstvertrauen. Das ist ein Kreislauf, den müssen wir durchbrechen. Im Moment läuft es ein bisschen gegen uns.»

Der herausragende Luis Diaz vom FC Liverpool per Kopfball (54. Minute) und Juan Cuadrado per Handelfmeter (82.) erzielten die Tore für die auch als Kollektiv überzeugenden Südamerikaner. Flick saß am Ende zunehmend konsterniert auf der Bank – und die 50.421 bedienten Zuschauer verließen die Schalker Arena enttäuscht und ratlos.

Hält der DFB an Flick fest? 

«Ich weiß nicht, ob bedenklich reicht. Es ist dramatisch. Wir haben uns wieder viel vorgenommen. Es ist schwer zu erklären, warum wir es nicht auf den Platz bekommen. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Das ist viel zu wenig», räumte Leon Goretzka beim TV-Sender RTL ein und zog Parallelen zur Krise bei den Bayern: «Das erinnert mich stark an die Schlussphase der letzten Saison. Es läuft alles gegen uns.»

Klartext sprach DFB-Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. «Die Mannschaft ist müde, die Mannschaft ist verunsichert. Wir haben keine Lösungen», kritisierte der RTL-Experte: «Es ist viel Ratlosigkeit dabei. Nicht nur auf dem Platz, auch von außen. Es war soviel Sand im Getriebe. Es hat nichts funktioniert.»

Trotz aller Treueschwüre von DFB-Sportdirektor Rudi Völler werden die öffentlichen Debatten um Flick nicht abreißen. Nach dem frühen WM-Scheitern in Katar gewann das DFB-Team von fünf Länderspielen 2023 lediglich eines beim 2:0 gegen Peru. EM-Favoriten spielen anders. Im September geht es mit zwei herausfordernden Heimspielen gegen WM-Schreck Japan und Vize-Weltmeister Frankreich weiter – mit Flick?

Can und Gündogan bringen keine Stabilität

«Ich gehe kompromisslos meinen Weg», hatte Flick angekündigt und auch im letzten Länderspiel vor der Sommerpause seine Experimentierphase mit der Dreierkette und fünf Änderungen im Vergleich zum Polen-Spiel (0:1) fortgesetzt. Dieses Mal übernahm der Dortmunder Emre Can den Part in der Mitte, an seiner Seite verteidigten der Ex-Schalker Malick Thiaw und Antonio Rüdiger.

Von defensiver Stabilität war aber wieder nichts zu sehen, vielmehr agierte das deutsche Team nach den Negativerlebnissen stark verunsichert und geradezu ängstlich gegen die quirligen Kolumbianer. Bloß nicht wieder in Rückstand geraten, lautete das Motto. Das wirkte sich auch auf das Offensivspiel aus, das langsam und schwerfällig wirkte. Es fehlte an Leidenschaft, an Tempo, an Ideen. Der EM-Gastgeber schaffte es kaum, Präsenz im gegnerischen Strafraum zu erzeugen. Entsprechend unzufrieden versuchte Flick, aus der Coaching-Zone Einfluss zu nehmen.

Dabei waren die Hoffnungen groß, dass mit Champions-League-Sieger Gündogan neuer Schwung ins Spiel der DFB-Elf kommt. Doch auch der Star von Manchester City blieb im offensiven Mittelfeld blass. Gündogan führte in seinem 66. Länderspiel das Team sogar als Kapitän auf das Feld, weil Joshua Kimmich aus der Startelf rutschte. Am ehesten gingen noch von Jamal Musiala kreative Elemente aus, wenngleich der Bayern-Youngster dieses Mal zurückgezogen im defensiven Mittelfeld neben Leon Goretzka weniger Einfluss nehmen konnte.

Kaum deutsche Chancen

Die Kolumbianer hatten bereits im ersten Durchgang ein deutliches Chancenplus. Zwei Kopfbälle von Jerry Mina (14.) und dem Frankfurter Rafael Borré (23.) sorgten für erste Gefahr. Dann wurde es richtig brenzlig. Nach einem schlimmen Fehlpass von Rüdiger war Diaz frei durch, ehe Thiaw mit einer starken Grätsche gerade noch Schlimmeres verhinderte (28.). Und kurz darauf war es Marc-André ter Stegen, der einen strammen Schuss von Mina über die Latte kratzte (30.).

Das gefiel Völler auf der Tribüne überhaupt nicht. Bis kurz vor dem Pausenpfiff musste der Weltmeister von 1990 warten, ehe Musiala auf Zuspiel von Havertz zur ersten deutschen Torchance kam. Entsprechend gab es von den Rängen zur Halbzeit einige Unmutsbekundungen. 

Besser wurde es auch nicht im zweiten Durchgang. Wieder waren die Kolumbianer griffiger und aggressiver – und dieses Mal gab es auch die Quittung. Ein unnötiger Ballverlust von Can gegen Borré vorausgegangen, flankte Cuadrado auf Diaz, der völlig freistehend einköpfen konnte. Und nur vier Minuten später hätte Jhon Arias schon für die Vorentscheidung sorgen können, woraufhin das Schalker Publikum endgültig die Geduld verlor.

Flick stellte von Dreier- auf Viererkette um, brachte in Niclas Füllkrug einen weiteren Stürmer und ging mehr ins Risiko. Das brachte immerhin mal einige Offensivaktionen über die Flügel, wenngleich die klaren Torchancen ausblieben. In der Schlussphase kam noch Kimmich für Gündogan. Bezeichnenderweise sorgte ein Handspiel des Bayern-Stars nach Flanke von Deiver Machado für den endgültigen K.o., Cuadrado ließ ter Stegen vom Punkt keine Chance. 

Klaus Bergmann, Jan Mies und Stefan Tabeling, dpa

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