Die FIFA hatte einige Initiativen angekündigt, um die indigenen Völker der Gastgeberländer Australien und Neuseeland in besonderem Maße teilhaben zu lassen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Abbie Parr/AP/dpa)

In der langen Karriere von Kyah Simon wäre dieser Moment einer der schönsten. Wenn Australiens Fußballerinnen am Montag (12.30 Uhr/ARD) im Achtelfinale der Heim-WM auf Dänemark treffen, könnte die 32-Jährige in Sydney nach monatelanger Verletzungspause erstmals in diesem auch für ihre Familie so speziellen Turnier auf dem Rasen stehen.

Sie ist eine von nur zwei Spielerinnen der Matildas mit indigenen Vorfahren aus den Aborigine-Völkern, die bei der Endrunde im Fokus sind.

«Sie kann ein Spiel verändern, das ist in großen Spielen besonders wichtig. Sie stellt sich jeder Situation und ist mental stark», sagte Trainer Tony Gustavsson. Ein Kreuzbandriss verhinderte fast die WM-Teilnahme von Simon, die bei Tottenham Hotspur in England spielt. Wichtige WM-Tore erzielte sie für ihr Land schon seit der Endrunde 2011 in Deutschland. Keine Sekunde habe sie in der Nacht vor der Kaderbekanntgabe geschlafen, sagte sie. Und als feststand, dass sie trotz aller Widrigkeiten dabei ist, brach die Angreiferin in Tränen aus.

Am Sonntag trainierte Simon erstmals mit dem Team und kann im ersten K.o.-Spiel auf einen Einsatz im Australia-Stadion hoffen. Dort wird es bereits vor dem Anpfiff speziell, denn das ist die Zeit auch für die Aborigines. Rauch steigt auf, Didgeridoo-Klänge wabern durchs Stadion und Stammesälteste begrüßen die Fans. Bei jedem WM-Spiel auf australischem Boden gehören ihre Traditionen bei der sogenannten «Acknowledgement of Country» mit dazu. Mit dem Ritual, das aus der Kultur der ältesten Völker Australiens stammt, werden die traditionellen Wurzeln des Landes gewürdigt. Seit einigen Jahren ist es fester Bestandteil öffentlicher Veranstaltungen – so auch bei dieser WM.

Schon zuvor hatte die FIFA einige Initiativen angekündigt, um die indigenen Völker der Gastgeberländer Australien und Neuseeland in besonderem Maße teilhaben zu lassen. «Man kann nicht einfach Fußball spielen und die Menschen außen vor lassen, ohne die diese Nation nicht existieren würde», sagte FIFA-Generalsekretärin Fatma Soumara vor dem Turnier gegenüber der Presseagentur AP.

Die FIFA betreibt die Kampagne «Unite for Indigenous Peoples». In den Arenen wehen Flaggen der australischen und neuseeländischen Ureinwohner, für die Stadien- und Ortsnamen verwendet der Weltverband neben der englischen auch die Bezeichnung in der traditionellen Landessprache.

Doch die Maßnahmen wurden zuletzt stark kritisiert. Die indigene Organisation «Indigenous Football Australia» (Ifa) sprach von «leerer Symbolik». In einem Beschwerdebrief bemängelt die Gruppe den im Juli von Football Australia herausgebrachten Bericht «Legacy ’23». In dem Papier werden Ziele zur weiteren Förderung des Frauenfußballs in der Region formuliert. Ifas Hauptkritikpunkt: Die Rolle indigener Fußballerinnen werde zwar erwähnt, doch es sei keinerlei finanzielle Unterstützung für indigene Sportvereine und -initiaven geplant.

«Wenn es finanzielle Mittel gibt, sollten sie unbedingt in diese Richtung fließen», sagt Steph Catley, Verteidigerin und Ersatzkapitänin der australischen Fußballerinnen, bei einer Pressekonferenz vor dem Gruppenspiel gegen Nigeria. «Das ist etwas, das unserem Team sehr am Herzen liegt.» Dass die Matildas sich für indigene Zwecke einsetzen, haben sie schon 2021 gezeigt: Vor den Olympischen Spielen in Tokio posierten sie für ihr Teamfoto mit der Aborigine-Flagge anstatt mit der australischen.

Aktuell hat das Team in Simon und Torhüterin Lydia Williams aktuell zwei Spielerinnen im Kader, die von den Aborigine-Völkern abstammen. Als die FIFA verkündete, dass auch indigene Flaggen in den Stadien zugelassen werden, sagte Simon der australischen Presseagentur AAP: «Es gibt keinen besseren Ort als die australische Heimat, um die Kultur und das Erbe der indigenen Ureinwohner zu zeigen.» Sie hoffe, dass die Menschen aus dem Ausland die vielfältige Kultur ihres Landes sehen und etwas lernen, so Simon weiter.

In Australien leben etwa 984 000 Indigene, die sich mit verschiedenen Aborigine-Völkern oder Gruppen der Torres Strait Islander identifizieren. Sie haben einen Anteil von 3,8 Prozent an der australischen Bevölkerung (Stand: Juni 2021). Während der Kolonialisierung Australiens hat es zahlreiche Massaker an den Ureinwohnern gegeben. Außerdem wurden indigenen Müttern bis in die 1970er Jahre systematisch ihre Kinder weggenommen, um sie in weißen Familien aufwachsen zu lassen. Australien nennt die Betroffenen die «Stolen Generations». Auch die erste Matilda-Spielerin mit indigener Herkunft, Karen Menzies, zählt dazu.

Von Michelle Ostwald und Thomas Wolfer, dpa

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