Nach über zwölf Jahren wird Christian Streich nicht mehr Cheftrainer in Freiburg sein. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Tom Weller/dpa)

Christian Streich lächelte etwas gequält in die Kamera. Es fiel ihm alles andere als leicht, diese Botschaft zu überbringen.

«Sehr schweren Herzens» teilte er mit, dass er seinen Vertrag als Cheftrainer des SC Freiburg nicht mehr verlängern und den Fußball-Bundesligisten im Sommer verlassen werde. Es hatte sich angedeutet: In Freiburg endet eine Ära. Es ist eine «Zäsur», wie es Ex-Stürmer Nils Petersen treffend formulierte. Der Club verliert seine größte Identifikationsfigur, die Liga eine ihrer prägenden Figuren.

Ein Nachfolger solle «zeitnah» bekannt gegeben werden, teilte der SC mit. Die Anzeichen verdichten sich, dass es Freiburgs früherer Kapitän Julian Schuster werden könnte. Es wäre eine für den SC typische Entscheidung, kennt der 38-Jährige die Abläufe innerhalb des Vereins doch nur zu gut.

Schuster ist aktuell Verbindungsmann zwischen Profis und Nachwuchs bei den Freiburgern, für die er zwischen 2008 und 2018 mehr als 200 Pflichtspiele bestritten hat. Er hat zwar noch keine Erfahrung als Chefcoach, ist aber Inhaber der höchsten Trainerlizenz im deutschen Fußball. Als Streich-Nachfolger würde er direkt in gewaltige Fußstapfen treten.

Das gute Gewissen des Profifußballs

«Dieser Verein ist mein Leben», sagte Streich am Montag und sprach damit aus, was er in mittlerweile fast 29 Jahren beim Sport-Club stets mit jeder Faser verkörpert hat. Der Sohn eines Metzgers, der eine Lehre als Industriekaufmann abgeschlossen und später noch Germanistik, Sport und Geschichte auf Lehramt studiert hat, ist bodenständig, emotional und authentisch. Nicht nur so mancher Südbadener würde vermutlich sagen: Einer von uns.

Streichs Interviews und Pressekonferenzen sind mitunter so legendär wie seine emotionalen Ausbrüche an der Seitenlinie. Für viele Fans ist er aber auch eine Art gutes Gewissen der zunehmend kommerzialisierten Fußball-Branche. Da er zu politischen und gesellschaftlichen Themen häufig klar Stellung bezieht, genießt Streich auch über den Sport hinaus große Popularität. Langjährige Weggefährten wie Freiburgs Ex-Präsident Fritz Keller sowie Trainerkollegen wie der neue Wolfsburger Ralph Hasenhüttl würdigten Streich. Auch aus der Politik gab es Reaktionen. Bundesagrarminister Cem Özdemir etwa nannte den scheidenden SC-Coach in den sozialen Medien eine «Legende im deutschen Fußball».

Streich wurde mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet und dem Julius-Hirsch-Ehrenpreis des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), der Menschen würdigt, die sich aktiv gegen Diskriminierung und für Verständigung einsetzen. 

Zeit für neue Energie im Verein

«Ich habe lange überlegt. Wir haben lange gesprochen», kommentierte der 58-Jährige den nahenden Abschied. Dass er ihn über ein vom Verein verbreitetes Video verkündete, diente womöglich auch dem Selbstschutz. In einem anderen Rahmen hätte er vielleicht eine Träne verdrückt. Er sei dankbar für die vielen Erlebnisse, die er mit dem SC hatte. Nicht nur in den mehr als zwölf Jahren, die er inzwischen Chefcoach der Profis ist. Zuvor war er viele Jahre Jugendtrainer der Badener – und eine der zentralen Figuren ihrer starken Nachwuchsarbeit.

Es sei ihm immer wichtig gewesen, zur richtigen Zeit den Absprung zu schaffen, so Streich. Er sei «außergewöhnlich dankbar für die große Unterstützung und Zuneigung, die ich immer erfahren habe.» Es brauche nun aber «neue Energie» im Verein und in der Profimannschaft. 

Spieler hofften auf eine Vertragsverlängerung

Es sei eine Entscheidung, «die wir bedauern, aber in vollem Maße respektieren und nachvollziehen können», sagte SC-Sportvorstand Jochen Saier. Der Zeitpunkt, Streich final zu würdigen, sei aber noch nicht gekommen, die «Reise» sei ja noch nicht zu Ende.

Kapitän Christian Günter, genau wie Mittelfeldmann Nicolas Höfler einer von Streichs langjährigen Schützlingen beim SC, hatte am Sonntag noch leise «Hoffnung, dass er weitermacht.» Am Abend der verlorenen Partie gegen Bayer Leverkusen (2:3) waren die Spieler nach dpa-Informationen dann aber über Streichs Entscheidung informiert worden.

Zwei Europa-League-Achtelfinals und ein Pokal-Endspiel

Letztlich war es keine ganz große Überraschung mehr, dass Streich nun den Schlussstrich zieht. Die Arbeit als Cheftrainer und in der Öffentlichkeit kostete ihn viel Kraft – in der laufenden Saison, in der die Freiburger mit vielen Verletzungssorgen zu kämpfen haben, womöglich besonders. Dass sich die bescheidenen Badener in den vergangenen Jahren immer mehr der nationalen Spitze angenähert haben, ist auch ein Verdienst von Streich.

In der Winterpause der Spielzeit 2011/2012 hatte er die SC-Profis übernommen. Von den aktuellen Bundesliga-Trainern ist nur Frank Schmidt vom 1. FC Heidenheim noch länger ohne Unterbrechung bei seinem Verein im Amt. Streich führte den SC zweimal ins Achtelfinale der Europa League und vor zwei Jahren ins Endspiel des DFB-Pokals, stieg 2015 aber auch einmal mit ihm ab. Der Verein hielt damals jedoch an ihm fest und stieg sofort wieder auf. 

Acht Bundesliga-Spiele bleiben noch, dann beginnt in Freiburg eine neue Zeitrechnung. Streich wird versuchen, den Tabellenneunten noch einmal in den Europapokal zu führen.

Die Lücke, die es danach – womöglich durch den früheren Mittelfeldspieler Schuster – zu schließen gilt, ist riesig. Das war nach Volker Finke, der den SC von 1991 bis 2007 trainiert hat, schon mal so. Auch da fragten sich viele, ob es so ein langfristiges Erfolgsmodell jemals wieder geben wird. Wenige Jahre später begann die Ära Streich.

Christoph Lother, dpa

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