Ilkay Gündogan (l) und Toni Kroos jubeln nach dem Abpfiff. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa)

Mit einem Lächeln hielt Ilkay Gündogan die Trophäe als bester Spieler in die Kamera. Der Pokal, den der DFB-Kapitän für seine Leistung beim 2:0 gegen Ungarn von der UEFA bekam, sah eher aus wie eine ordinäre silberne Blechvase. Er war dennoch ein Symbol für einen, dem das Lob im deutschen Fußball-Nationaltrikot, ob weiß oder pink, selten so zugeflogen ist wie in diesen ersten Tagen des neuen EM-Rauschs.

Als «Man of the Match» des zweiten deutschen Gruppenspiels bekam Gündogan nicht nur eine Trophäe. Er durfte auch Platz nehmen auf dem Pressepodium, um seine Geschichte des Spiels zu erzählen. Und da sagte Gündogan Sätze, die ein Gündogan eben sagt. Bescheiden. Gar nicht exaltiert. «Ob ich jetzt ein Tor geschossen habe oder Player of the Match bin, das ist mal hinten angestellt. Das ist nicht das, wonach ein Fußballer strebt oder streben sollte. Das sind Bonusgeschichten», sagte der 33-Jährige.

Zweifel verflogen

Vor einer Woche wurde noch gezweifelt, ob Gündogan die Nationalmannschaft überhaupt auf den Platz führen sollte bei der Heim-EM. Ob Bundestrainer Julian Nagelsmann nicht bessere Optionen für seine Stammelf habe. Das klingt im Lichte der ersten zwei Siege jetzt nach Fußball-Blasphemie.

«Ich habe großes Vertrauen in ihn, weil ich weiß, was in ihm steckt. Wir müssen ihn einfach alle ein bisschen pushen, weil er uns auch pushen kann. Er hat es in beiden Spielen sehr gut gemacht. Und ich bin mir sicher, dass es so weitergeht», sagte Nagelsmann, der öffentlich nie an seinem stillen Anführer zweifelte.

Orban-Rempler als Statement

Jetzt dämmert auch den vielen Kritikern, dass da ein Ausnahmespieler im DFB-Trikot einfach lange nicht am Limit spielte. Sein resoluter Einsatz gegen Ungarns Leipziger Willi Orbán vor dem ersten Tor durch Jamal Musiala war ein Statement. Seht her, hier bin ich.

Gündogans Social-Media-Manager hatte ordentlich Arbeit. Viele Glückwunsch-Beiträge konnten bei Instagram verlinkt werden. Der Ausrüster-Sponsor, klar. Der Arbeitgeber FC Barcelona, natürlich. Aber auch die Kollegen posteten ihr Glück: Thomas Müller, Musiala, Niclas Füllkrug, alle mit Fotos von sich mit Gündogan.

Aus Manchester schickte Jack Grealish eine Lobpreisung. «Ich kann nicht beschreiben, wie gut dieser Kerl ist. Ehrlich gesagt einer der Besten, mit denen ich je zusammengespielt habe», schrieb der frühere Kollege. Man-City-Trainer Pep Guardiola hatte schon vor dem EM-Anpfiff die überragende Spielintelligenz hervorgehoben.

Wie manch anderer Auslandsprofi hat auch Gündogan am Schaffensort, ob nun einst in England oder jetzt in Spanien, mehr Anerkennung erfahren als daheim. Wobei der Begriff daheim die Situation für Gündogan seit jeher verkompliziert. Ihm geht es – Fußballstar hin oder her – nicht anders als vielen anderen Nachfahren von Einwanderern in Deutschland.

Schweinsteiger in Sichtweite

Es schwingt auch im Persönlichen latent immer dieses Aber mit. Da kann er noch so gut spielen. Kann so einer der schwarz-rot-goldene Kapitän sein? Na klar, er kann. Und das am Sonntag gegen die Schweiz zum Abschluss der EM-Gruppenphase zum 17. Mal – so oft wie einst Bastian Schweinsteiger. «Wir müssen ihm alle mehr vertrauen im Land», forderte Nagelsmann. Er meinte das sportlich, aber die doppelte Bedeutung ist eben immer da.

Geboren im deutschen Einheitsjahr 1990 im Pott in Gelsenkirchen verkörpert er die Biografie zigtausender Migranten-Nachfahren. «So happy for you Abi», schrieb Antonio Rüdiger in seinem Stuttgarter Online-Beitrag. «Abi», im Türkischen der «große Bruder».

Die Großer-Bruder-Rolle ist Gündogans Auftrag in dem pink-umjubelten Nationalteam 2024. Die Zauber-Schüler Musiala und Florian Wirtz leitet er an. Er ist mit nun 79 Länderspielen ihr persönlicher Bessermacher, wie Dumbledore für Harry Potter sozusagen. «Ich fühle mich extrem wohl in dieser Mannschaft. Das ist ein sehr gutes Vorzeichen, um dann auf dem Platz frei aufzuspielen, was aufgrund der letzten Jahre und der Ergebnisse nicht immer leicht ist», sagte Gündogan.

Taktik-Clou mit Kroos

Dass Nagelsmann ihn herausgenommen hat aus dem Positionszwist auf der Sechs, nach vorne auf eine schwebende und dirigierende Rolle zwischen acht, zehn und unbeirrbarem Anläufer im Gegenpressing, war ein Taktik-Clou. Auch dadurch konnte die Rückholaktion von Toni Kroos ihre spezielle Kraft entfalten. «Das Gute ist, gerade mit Toni jetzt auch, dass wir, wenn wir uns auf dem Platz anschauen, selbst für eine Millisekunde, dass wir auch wissen, was der andere denkt und vorhat in der nächsten Situation», schilderte Gündogan.

Kroos ist bekanntlich ein Mann fester Prinzipien. Einen Kollegen herauszuheben, liegt nicht im Naturell des sechsfachen Champions-League-Siegers. Aber für Gündogan machte er eine Ausnahme: «Für Illy freut es mich, weil natürlich seine Karriere in der Nationalmannschaft noch nicht so von Erfolg gekrönt war wie seine Club-Karriere», sagte Kroos. «Ich hoffe, dass er aus dem gefühlten Schatten heraustritt während des Turniers. Wir haben keine Zweifel, was für ein Spieler er ist», merkte der 34-Jährige an.

Von Arne Richter, Klaus Bergmann und Christoph Lother, dpa

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