Wolfsburgs van Bommel: «Champions League ist etwas Großes»
Mark van Bommel trifft mit dem VfL Wolfsburg zum Champions League-Auftakt auf den französischen Meister OSC Lille. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa)

Ein großer Empfang, ein Wechselfehler im DFB-Pokal, eine Siegesserie in der Bundesliga – und jetzt der Saisonstart der Champions League: Mark van Bommel erlebt als neuer Trainer des VfL Wolfsburg turbulente erste Wochen.

Vor dem Champions-League-Auftakt beim französischen Meister OSC Lille (Dienstag, 21.00 Uhr/DAZN) gab der Niederländer der Deutschen Presse-Agentur ein Interview.

Frage: Sie haben in 17 Jahren als Spieler und Cheftrainer nur zwei Mal die Champions League verpasst.

Mark van Bommel: Ich erinnere mich: 2007/08 waren wir mit Bayern in der Europa League. In meinem letzten Jahr als Spieler in Eindhoven auch. Aber sonst? Jedes Jahr in der Champions League? Mal überlegen: Finalsieg 2006 mit Barcelona, Halbfinale 2005 mit Eindhoven, Finale 2010 mit Bayern, Viertelfinale 2012 mit Mailand. Dann noch einige Male im Viertelfinale und in der Gruppenphase raus. Ja, das stimmt. Ich habe nie darüber nachgedacht. Aber es hört sich gut an.

War das auch ein Grund, zum VfL Wolfsburg zu gehen?

van Bommel: Nein, deshalb bin ich nicht nach Wolfsburg gekommen. Aber die Champions League ist etwas Großes. Für einen Verein ist das der größte Wettbewerb, in dem man mitspielen kann.

Mit dem FC Barcelona und dem AC Mailand gehören zwei ihrer Ex-Clubs zu jenen Vereinen, die genau diesen Wettbewerb durch eine europäische Superliga ersetzen wollten. Wie denken Sie darüber?

van Bommel: Für mich ist das kein Thema. Das ist keine Frage für einen Trainer. Die Vereine, die hinter dieser Idee stehen, werden ihre Gründe haben. Aber welche das sind, weiß ich nicht genau.

Können Sie zumindest die Einwände vieler Fans gegen dieses Projekt verstehen? Die geschlossene Gesellschaft der immer gleichen Clubs. Dieses Gefühl, dass es nur noch ums Geld geht.

van Bommel: Schwer zu sagen. Aktuell wird es diese Liga ja auch erst einmal nicht geben. Vielleicht kommen die Super-League-Pläne in Zukunft wieder auf den Tisch. Dann können wir darüber diskutieren.

Dann reden wir wieder über die Champions League. Der VfL Wolfsburg hat dort am Dienstag sein erstes Spiel beim französischen Meister OSC Lille. Die nächsten Gegner heißen FC Sevilla und Red Bull Salzburg. Was ist für den VfL drin in dieser Saison?

van Bommel: Wir versuchen, die Gruppenphase zu überstehen. Und ich denke, dass das möglich ist. Es gibt sicher Gruppen, die schwerer sind. Aber das wissen die drei anderen Vereine auch. In einer Gruppe mit Lille, Sevilla, Salzburg und uns kann jeder jeden schlagen. Das macht es so gefährlich. Diese Gruppe ist sehr ausgeglichen.

In der Bundesliga stehen Sie nach vier Siegen auf Platz eins. Was ist ihr erster persönlicher Eindruck vom VfL Wolfsburg?

van Bommel: Es macht großen Spaß, hier zu arbeiten. Denn dieser Club ist in allen Bereichen sehr gut aufgestellt, nicht nur was die Infrastruktur der Trainingsbedingungen betrifft. Alles ist hier auf höchstem Niveau. Im Trainerteam brauchen wir uns nur um die Jungs und die Arbeit auf dem Platz zu kümmern. Ich wusste ja, dass die Bundesliga top strukturiert ist. Aber Wolfsburg ist da herausragend.

Was können Sie mit Ihrer Vita diesem Club noch geben, was er bislang nicht hat? Eine Art Bayern-Gen oder Sieger-Mentalität? Es gab am Ende der vergangenen Saison eine bemerkenswerte Situation, als der VfL innerhalb von zwei Wochen gegen Eintracht Frankfurt, Bayern München und Borussia Dortmund verlor und viele dachten: Jetzt verspielen sie ihren Champions-League-Platz noch. Aber ihr Sportchef Jörg Schmadtke stellte sich hin und sagte sinngemäß: «Die Dortmunder kriegen uns nicht mehr.» So etwas hört man aus Wolfsburg nicht oft.

van Bommel: So muss jeder Verein denken. Aber ich glaube, dass noch etwas anderes entscheidend ist: Wenn man häufiger solche Situationen meistert oder große Ziele erreicht, dann gewinnt man diese Aura und diesen Ruf. Genau das hat Wolfsburg ja in der letzten Saison gezeigt: Sie haben in einer entscheidenden Phase drei von vier wichtigen Spielen verloren und es trotzdem geschafft. Diese Erfahrung ist wichtig. Wir können den Jungs viel erzählen und sie auch auf solche Situationen vorbereiten. Aber erfahren müssen sie es selbst.

Ist das ein Vorteil für Sie als Trainer: Dass Sie alles, was in einer Kabine oder auf dem Spielfeld auf diesem Niveau passieren kann, als Profi selbst schon einmal erlebt haben?

van Bommel: Ich finde ja. Es muss nicht so sein, dass ein Trainer selbst diese ganzen Erfahrungen als Spieler gesammelt hat. Dafür gibt es viele erfolgreiche Beispiele. Aber mir hilft das sehr. Ich bin damals als Spieler und Kapitän immer wieder in Situationen gewesen, in denen ich mit anderen Spielern, dem Trainer oder dem Vorstand reden musste. Das sehe ich jetzt bei meinen Spielern. Die Jungs wissen, dass ich genau weiß, was in einer Kabine abgeht. Das ist für mich ein Vorteil.

Haben Sie nach Ihrem Wechselfehler im DFB-Pokal in Münster gedacht: Das kann mich jetzt Autorität bei den Spielern kosten?

van Bommel: Ich war nach dem Spiel wirklich überrascht, weil ich davon ausging, dass wir alles richtig gemacht haben. Das war nicht so, wir sind raus aus dem Pokal – und das Wichtigste in diesem Moment war, dass wir schnell wieder nach vorne geschaut haben. Im Fußball ist es manchmal schade, dass man Siege nicht richtig genießen kann, wenn es drei Tage später schon wieder weitergeht. Aber manchmal ist es auch ein Vorteil, dass man sich nach einer Niederlage gleich schon wieder auf das nächste Spiel vorbereiten kann. Die Mannschaft hat auf dieses Pokal-Aus super reagiert. Sie hat die nächsten vier Spiele gewonnen.

Würden Sie mit Ihrer Erfahrung als Trainer bestimmte Dinge als Spieler im Nachhinein anders angehen? Ihren Streit mit Louis van Gaal zum Beispiel, der 2011 Ihren Abschied vom FC Bayern einleitete?

van Bommel: Nein, denn das gehört dazu. Mittlerweile können van Gaal und ich auch wieder gut miteinander. Ich war als Spieler nicht einfach für einen Trainer. Aber jetzt habe ich auch Spieler, die so ähnlich sind wie ich damals. Jetzt muss ich damit umgehen.

Wer den Spieler van Bommel noch vor Augen hat, erkennt den Trainer van Bommel manchmal kaum wieder. Sie wirken deutlich ruhiger, ausgeglichener – ist da etwas dran?

van Bommel: Ich habe einen Charakter, den kann man nicht ändern. Ob ich nun Spieler oder Trainer bin – ich bin immer dieselbe Person. Aber mein Job hat sich geändert. Jetzt muss ich ein Spiel beobachten, die richtigen Entscheidungen für meine Mannschaft treffen. Und manchmal bin ich dabei auch etwas aggressiv. Ganz ehrlich: Ich höre das häufig, habe aber gar nicht das Gefühl, jetzt viel ruhiger zu sein.

Wann war Ihnen klar, dass Sie Trainer werden wollen?

van Bommel: Ich hatte das schon früh im Kopf. Schon als junger Spieler bei Fortuna Sittard habe ich zwei Trainerscheine gemacht. Die Prüfung wurde erst angesetzt, als ich schon zur PSV Eindhoven gewechselt war. Dafür musste ich dann als Spieler von Eindhoven wieder mit meinen alten Teamkollegen von Sittard zusammenarbeiten und als 21-Jähriger den 29- und 30-Jährigen sagen, wo sie den Ball hinspielen sollen. Aber sie haben gut mitgemacht und mich nicht durchfallen lassen.

Denken Sie jetzt manchmal: Warum ist der 70-jährige van Gaal jetzt schon wieder niederländischer Nationaltrainer und nicht ich oder wenigstens jemand aus meiner Generation?

van Bommel: Nein, überhaupt nicht. Für mich ist das noch lange nicht der richtige Zeitpunkt. Ich bin ein junger Trainer, der jeden Tag auf dem Platz stehen will. Bei der Nationalmannschaft ist man aber nur alle zwei Monate mal für 14 Tage zusammen. Deshalb gibt es auch immer weniger junge Nationaltrainer. Bei der EM waren es nur Luis Enrique bei den Spaniern und Andrei Schewtschenko bei der Ukraine.

Wer ist für Sie der Favorit auf den Champions-League-Sieg?

van Bommel: Die üblichen Verdächtigen. Bayern, Barcelona, Real Madrid, Paris Saint-Germain, Liverpool, Chelsea, Man City, Man United.

Und gegen welchen ihrer Ex-Clubs würden Sie mit Wolfsburg in der Champions League am liebsten mal spielen? Bayern? Oder Barcelona?

van Bommel: Gegen Bayern spielen wir ja schon in der Bundesliga. Und in Barcelona war ich schon mit Eindhoven. Also: Fortuna Sittard!

ZUR PERSON: Mark van Bommel spielte für Fortuna Sittard, PSV Eindhoven, FC Barcelona, AC Mailand – und von 2006 bis Januar 2011 auch für den FC Bayern München. Neben zwei deutschen Meisterschaften 2008 und 2010 waren der Champions-League-Sieg mit Barcelona (2006) und der Einzug ins WM-Finale mit den Niederlanden (2010) die größten Erfolge seiner Laufbahn. Nach einer ersten Cheftrainer-Station in Eindhoven übernahm der 44-Jährige in diesem Sommer den VfL Wolfsburg.

Interview: Sebastian Stiekel, dpa

Von