Steffen Baumgart verstand die Welt nicht mehr. Und er wählte auch in der Enttäuschung authentische und deutliche Worte.
«Angepisst» sei er über die Pfiffe der Fans beim 2:2 gegen den 1. FC Union Berlin. Das Verhalten vieler Anhänger habe ihn «gestört» und «geärgert». Es sei sogar «bedenklich».
Der nach kürzester Zeit hymnisch verehrte Trainer spürt nun die Nachteile des von ihm ausgelösten Hypes rund um den FC: Eine gestiegene Erwartungshaltung an die im Vorjahr erst in der Relegation gerettete und kaum verstärkte Mannschaft. Eine Erwartungshaltung, in der die «Europapokal»-Gesänge zwar ein gutes Stück weit ironisch sind, ein 1:2-Rückstand gegen Europacup-Teilnehmer Union aber schwer akzeptabel.
Nebenwirkungen gehören dazu
Baumgart nahm die neuen Töne und die Kritik an seiner Mannschaft offenbar persönlich. «Wir haben einen Weg zu gehen und müssen uns entwickeln. Sie können das auch», sagte der 49-Jährige und scheut augenscheinlich auch keinen Konflikt mit den eigenen Fans. Worte, die sich nur ein Trainer seines Standings herausnehmen darf. Und so erntete er in den sozialen Netzwerken tatsächlich auch überwiegend positive Reaktionen auf seinen Vorstoß.
Baumgart stellte klar: Wer seinen Spektakel-Fußball will und feiert, muss auch die Risiken und Nebenwirkungen akzeptieren. «Zwei, drei Jahre sah der Fußball hier anders aus. Jetzt sieht er so aus, dass er Spaß macht. Dabei werden Fehler gemacht», sagte er und stellte klar, dass er keinen Millimeter von seinem Weg abweichen werde.
Baumgart will Rückfall in alte Muster verhindern
Dass Baumgart seinerseits perfektionistisch ist und nie zufrieden, bekam derweil ausgerechnet Anthony Modeste zu spüren. Als der Franzose nach dem Ausgleich in der 86. Minute und seinem dritten Doppelpack in zwei Wochen dem Trainer die Schiebermütze stibitzte und vor ihm einen Tanz aufführte, wurde er beherzt angeschrien. «So ein Spiel ist nicht vorbei, weil du dich über ein 2:2 freust», sagte Baumgart: «Du musst im Spiel bleiben.» Frei nach Oliver Kahns berühmtem Motto: «Weiter, immer weiter.»
Das ist Baumgarts Devise. «Ich werde das weiter einfordern und hoffe, dass die Jungs weiter das Vertrauen in diesen Fußball haben. Und in der ein oder anderen Situation nicht nach draußen hören», erklärte Baumgart: «Ich arbeite daran, dass wir nicht in alte Muster zurückfallen. Wenn wir das getan und die Bälle lang geprügelt hätten, hätten wir gegen Union keine Chance gehabt. Wenn einer ein Problem mit diesem Fußball hat, übernehme ich die Verantwortung.»
Seinen Spielern sagte er hundertprozentige Unterstützung zu. Wer viel macht, macht eben auch mal was falsch. «Ich stehe zu den Jungs. Wir sind noch nicht am Ende des Weges. Wir werden auch Spiele verlieren. Aber auf Dauer werden wir erfolgreicher sein.»
Jakobs fordert mehr Unterstützung
Während die Spieler auf Fragen nach Pfiffen überwiegend ausweichend reagierten, übte auch Sportchef Jörg Jakobs klare Kritik. «Da frage ich mich echt, was da die Vorstellung ist», sagte er. Da sei «zu viel Erwartungshaltung dabei. Ich würde mir wünschen, dass die Mannschaft entsprechend unterstützt und gestärkt wird. Und nicht dem Unmut freiem Lauf gelassen wird. Das halte ich für kontraproduktiv.»
All das fasste Jakobs in einem Motto zusammen, das sich die Kölner Fans seiner Meinung nach zu Herzen nehmen sollten. «Aus meiner Sicht sollte im Stadion in Köln nur einer pfeifen, mal vom Schiri abgesehen. Und das ist unser Trainer.»