Zum ersten Mal seit 30 Jahren steht wieder eine Frau an der Spitze eines deutschen Profifußball-Clubs. Nicole Kumpis wurde am Mittwochabend bei einer außerordentlichen und virtuellen Mitgliederversammlung zur Präsidentin des Drittligisten Eintracht Braunschweig gewählt.
Mit 472:411 Stimmen setzte sich die Vorständin des Deutschen Roten Kreuzes Braunschweig-Salzgitter gegen den Unternehmer Axel Ditzinger durch.
Kumpis einzige Frau, die einen Club anführt
«Mein Handy stand nicht still. Es hat größere Wellen geschlagen, als ich es erwartet hätte», sagte die 48-Jährige am Tag nach der Wahl bei einer Pressekonferenz. Kumpis ist nun die erste Präsidentin in der 122-jährigen Geschichte des deutschen Meisters von 1967 und aktuell die einzige Frau, die einen der insgesamt 56 Clubs in den ersten drei Profiligen anführt. 1986 war die FDP-Politikerin Gisela Schwerdt für acht Monate Präsidentin des damaligen Zweitligisten Arminia Bielefeld. 1991 stieg der TSV 1860 München unter der Vereinschefin Liselotte Knecht von der Bayernliga in die 2. Bundesliga auf.
In ihrem Wahlkampf ging es Kumpis erklärtermaßen nie um die Geschlechterfrage. «Ich habe dazu im Vorfeld gesagt, dass mir das nicht wichtig ist. Es setzt aber ein Zeichen und das muss es auch», sagte sie am Donnerstag. «Es ist schon schwierig, wenn wir uns 2022 noch die Frage stellen, warum Frauen in solchen Gremien kaum vorhanden sind.» In Braunschweig gehören nun sogar zwei Frauen dem Präsidium an, da auch die ehemalige Hockey-Nationalspielerin Bettina Heinicke zur Vizepräsidentin für die Abteilungen gewählt wurde.
Präsidentin überzeugt mit ihrem Ansatz
Kumpis‘ Wahl erklärt sich auch durch eine angespannte Gemengelage in dem Traditionsverein. Ihr Vorgänger Christoph Bratmann hatte bei der turnusmäßigen Mitgliederversammlung im November nicht genügend Stimmen für seine Wiederwahl erhalten. Vor allem die Gegenstimmen aus dem organisierten Fanlager brachten den SPD-Politiker zu Fall.
Die Eintracht ist nach den Zweitliga-Abstiegen 2018 und 2021 tief gespalten, das zeigt auch der knappe Ausgang der Wahl zwischen Kumpis und Ditzinger. Der frühere Vizepräsident setzte auf die Stimmen der Fans. Sein Fokus galt der ausgegliederten Profifußball-Gesellschaft, er forderte schon 2021 eine Trennung von Sportchef Peter Vollmann und trat am Mittwoch für «neue Impulse und neue Ideen» ein.
Kumpis möchte die verschiedenen Lager wieder zusammenführen und vertraut in ihrem Team unter anderen auf den langjährigen Finanzchef Rainer Cech (weiter Vizepräsident Finanzen) und den früheren Eintracht-Profi Benjamin Kessel (neuer Vizepräsident Fußball), der bei der Präsidiumswahl die meisten Stimmen aller Kandidaten erhielt. Ihr konstruktiver Ansatz setzte sich am Ende durch.
Kumpis erkennt «Zeichen der Zeit»
«Demokratie, Diversität, Kommunikation und Zusammenhalt: Dafür stehe ich mit meinem Team», sagte Kumpis. So möchte sie den Verein wieder einen und auch auf die Unterstützer Ditzingers zugehen. «Ich bin ein sehr verbindlicher Mensch, sehr klar und authentisch in meiner Kommunikation. Auch dann oder gerade dann, wenn Kommunikation kritisch wird. Ich setze mich mit jedem an den Tisch.»
An großen sportlichen Zielen fehlt es auch nicht, wie Kumpis klarstellte: «Langfristig wollen wir uns in der Zweiten Liga etablieren und wieder mit allem Mut an der Ersten Liga anklopfen.»