Mitten hinein in Hansi Flicks Ausführungen zur großen WM-Zwischenprüfung gegen Holland platzte ein Anruf auf dem Handy des Bundestrainers.
«Jetzt ruft gerade Joshua Kimmich an», verriet Flick beim kurzen Blick auf das Display. «Da gehe ich jetzt natürlich nicht dran», sagte Flick auf dem DFB-Podium im Teamhotel laut lachend in die laufende Übertragung seiner Pressekonferenz. Und schloss an: «Ich schreibe mal zurück, dass ich gleich zurückrufe.»
Kimmich fehlt erneut
Später kehrte der Bundestrainer tatsächlich noch einmal zurück und berichtete kurz, dass Kimmichs drittes Kind weiter auf sich warten lasse. «Es ist alles noch ruhig», führte er später im ARD-Hörfunk aus. Er habe «zum Jo gesagt, dass er zu Hause bleiben soll». Es sei in diesem Moment «die richtige Entscheidung zu sagen, das bringt jetzt alles nichts». Flick riet Kimmich vielmehr: «Konzentriere dich jetzt auf deine Frau.»
Wie beim 2:0 gegen Israel wird der Leistungsträger vom FC Bayern damit auch am Dienstag (20.45 Uhr/ARD) gegen die Niederlande in Amsterdam fehlen, wohin Flick mit seinen 23 Spielern erst nach dem noch in Frankfurt abgehaltenen Abschlusstraining aufbrach.
Sieben Monate musste der Allesgewinner auf einen Fußballabend warten, der sich nach einer echten WM-Prüfung anfühlt. Holland gegen Deutschland – der Klassiker mit dem speziellen Prestigefaktor setzt auch Flick unter Strom. «Wir freuen uns auf das Kräftemessen.»
Große Wertschätzung für van Gaal
Auch für den Bundestrainer persönlich ist es eine besondere Aufgabe, weil er sich mit Oranje-Coach Louis van Gaal (70) messen kann, den einstigen Coach des FC Bayern, den Flick seit Jahren sehr schätzt: «Louis ist ein absoluter Fußball-Fachmann.» Bondscoach van Gaal ist ebenfalls gespannt. «Wir haben Deutschland ausgewählt, weil wir den größtmöglichen Widerstand haben wollten», sagte der Niederländer.
Im DFB-Kreis kribbelte es schon lange vor dem Anpfiff in der Arena von Ajax Amsterdam, in der Flick mit einem arg reduzierten Bayern-Block ohne Kimmich, Leon Goretzka, Serge Gnabry und Niklas Süle die große Halbzeitprüfung auf dem Weg nach Katar bestehen muss. Acht Spiele mit acht Siegen und 33:2 Toren gegen ausschließlich zweitklassige Gegner liegen hinter Flick – in Amsterdam beginnt nun die zweite Hälfte des WM-Countdowns mit noch einmal acht Länderspielen.
Tiefstapeln mag Flick nicht. Er setzt mutig auf Sieg: «Ich habe der Mannschaft gesagt, ich möchte das Spiel gewinnen. Weil jeder Sieg, den wir einfahren, gibt uns noch mehr Vertrauen in die eigene Stärke. Und das ist das, was wir brauchen.» 237 Tage vor dem WM-Anpfiff geht es um wichtige Erkenntnisse. «Es ist für uns ein Gradmesser», befand Flick: «Holland hat eine Mannschaft, die sehr gut Fußball spielen kann, die Topspieler in ihren Reihen hat, ob in der Defensive, im Mittelfeld oder im Sturm.» Flicks Matchplan steht: «Wir wollen den Gegner zu Fehlern zwingen und unser eigenes Spiel aufziehen.»
Duell auf Augenhöhe
Die Niederländer mit dem Freiburger Mark Flekken im Tor sind Flicks erster Gegner aus den Top Ten der FIFA-Weltrangliste. Oranje steht auf Position zehn, Deutschland ist die Nummer elf – ist es ein Duell auf Augenhöhe. Flick wird – anders als beim Warm-up gegen Israel – das Beste aufbieten, was ihm zur Verfügung steht. Kapitän Manuel Neuer kehrt ins Tor zurück und wünscht sich zwei Tage nach seinem 36. Geburtstag ein nachträgliches Geschenk seiner Teamkollegen.
Ins Abwehrzentrum rückt wieder Antonio Rüdiger, der in seinem 50. Länderspiel in Abwesenheit des verletzten Münchners Niklas Süle den Defensivchef geben soll. «Ich bin total happy, dass wir so einen Spieler in unseren Reihen haben. Er will immer den Sieg», sagte Flick zu Jubilar Rüdiger. Auch die gegen Israel anfangs geschonten Thomas Müller und Leroy Sané werden wieder in der Startelf auflaufen.
Eine große Personalfrage ist, wer neben Ilkay Gündogan als zweiter Sechser im Mittelfeld aufläuft: Rückkehrer Julian Weigl von Benfica Lissabon als Spezialist – oder doch Bayern-Talent Jamal Musiala? Letzteres wäre die mutigere Variante. Welches Signal sendet Flick? «Es ist eine Überlegung, Jamal auf der Sechs spielen zu lassen und ihn auch nochmal anfangen zu lassen», sagte der grübelnde Flick.
Neuer will «positive Spiele»
«Es ist wichtig, dass wir positive Spiele haben», sagte Teamsenior Neuer mit Blick auf den Klassiker-Dreierpack, der in Holland beginnt und Anfang Juni in Bologna gegen Europameister Italien und in München gegen den EM-Finalisten England fortgesetzt wird. Neuers «positive Vision» des WM-Titels kommt nun knallhart auf den Prüfstand.
Die Motivation ist hoch. «Wenn du gegen einen klangvollen Namen spielst, ist das Scheinwerferlicht nochmal heller», sagte Müller. «Wir wollen hier im Derby gegen Holland eine sehr gute Figur abgeben.» Der 32-jährige Müller freut sich ebenfalls auf van Gaal, seinen frühen Förderer beim FC Bayern. «Ich freue mich tatsächlich, ihn auch mal wieder persönlich zu sehen, ein paar Worte zu wechseln», sagte Müller: «Louis van Gaal hat einen bleibenden Eindruck und eine Handschrift bei Bayern und im deutschen Fußball hinterlassen.»
Beim großen Wiedersehen in Amsterdam geht es auch wieder um wichtige und womöglich bleibende Eindrücke – diesmal für die WM in Katar.
Die möglichen Aufstellungen:
Niederlande: Flekken (SC Freiburg/28/1) – de Ligt (Juventus/22/34), van Dijk (FC Liverpool/30/45), Aké (Manchester City/27/24) – Dumfries (Inter Mailand/25/31), Blind (Ajax/32/89) – de Roon (Atalanta Bergamo/31/28), F. de Jong (FC Barcelona/24/39)- Berghuis (Ajax/30/34) – Bergwijn (Tottenham Hotspur/24/17), Depay (FC Barcelona/28/76)
Deutschland: Neuer (FC Bayern München/36/108) – Kehrer (Paris Saint-Germain/25/17), Ginter (Borussia Mönchengladbach/27/46), Rüdiger (FC Chelsea/29/49), Raum (TSG 1899 Hoffenheim/23/4) – Musiala (FC Bayern München/19/10), Gündogan (Manchester City/31/55) – Havertz (FC Chelsea/22/24), Müller (FC Bayern München/32/111), Sané (FC Bayern München (26/41) – Werner (FC Chelsea/26/48)
Schiedsrichter: Pawson (England)