Will die Bundesliga im Ausland sichtbarer machen: Fernando Carro von Bayer 04 Leverkusen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Marius Becker/dpa/Archivbild)

Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht Fernando Carro über ein ambitioniertes Denken, den Übergang von Rudi Völler zu Simon Rolfes und Vorurteilen, denen er als «Quereinsteiger» aus der Wirtschaft begegnete.

Seit 2018 ist Carro Vorsitzender der Geschäftsführer beim Fußball-Bundesligisten Bayer Leverkusen und damit Chef des Clubs.

Herr Carro, rund ein Drittel der Bundesligisten hat sich nach dem Saisonende von ihrem Trainer getrennt. Bei Bayer Leverkusen hat man das Gefühl, dass der Verein endlich einen Trainer gefunden hat, der wirklich passt.

Fernando Carro: Wir sind mit Gerardo Seoane extrem zufrieden. Er hat viele Fähigkeiten, die wir gesucht haben. Fähigkeiten, die der Mannschaft sehr geholfen haben, auch und gerade in schwierigen Phasen. Sein hoher Anspruch und seine Erwartungshaltung, in allen Bereichen eine maximal professionelle Haltung an den Tag zu legen, deckt sich mit meiner und wird uns helfen, auch als gesamte Organisation noch besser zu werden. Deswegen hoffe ich, dass er lange bei uns bleiben und mit uns ein bedeutendes Stück Zukunft von Bayer 04 gestalten wird.

Dafür verabschiedet sich Rudi Völler nach über 20 Jahren in sportlichen Führungspositionen und rückt ins zweite Glied. Wie sehr wird er fehlen?

Carro: Es wird sich in den täglichen Routinen durch sein Fehlen etwas ändern. Allerdings, wenn wir seinen Rat brauchen, wird er da sein. Rudi hat sich schon in den letzten Wochen und Monaten mehr und mehr aus den täglichen Themen zurückgezogen. Er hat das mit Weitsicht sehr gut vorbereitet. Er ist sich bewusst, dass seine Erfahrung und seine Ratschläge weiter wichtig sind. Wir brauchen sie vielleicht nicht jeden Tag, aber in entscheidenden Situationen können wir drauf zurückgreifen.

Was macht seinen Nachfolger Simon Rolfes aus, der sich ja schon fast vier Jahre an Völlers Seite einarbeiten konnte?

Carro: Simon hat die unersetzliche Erfahrung als Profi und ein exzellentes Fachwissen. Er ist intelligent und analytisch, denkt strategisch und vorausschauend. Er hat ein gutes Händchen für Transfers und Kaderplanung. Dazu hat er ein Leverkusener Herz, hat zehn Jahre hier gespielt, davon sieben als Kapitän. Alles in allem passt er hervorragend zu Bayer Leverkusen. Wir beide arbeiten eng und sehr gern zusammen und ergänzen uns gut.

In den letzten Jahrzehnten hat sich im sportlichen Bereich das Modell mit einem Geschäftsführer und einem Sportdirektor bewährt. Erst mit Völler an der Seite von Reiner Calmund, dann mit Jonas Boldt und Rolfes an der Seite von Völler. Wird Bayer also noch einen Sportdirektor einstellen? Oder Stefan Kießling in diesem Bereich heranführen?

Carro: Stefan Kießling hat eine andere, mehr organisatorisch orientiert Rolle im Verein. Simon hat ihn, aber auch andere starke Leute in seinem Team. Dazu bin ich als CEO letztlich für alles verantwortlich und schalte mich daher bei sportlich wie wirtschaftlich wichtigen Vorgängen ein und unterstütze Simon. Natürlich wird viel Arbeit auf ihn und uns zukommen, dennoch sehen wir aktuell keinen Bedarf für die Rolle eines Sportdirektors.

Rudi Völler hat dieser Tage gesagt, er sei bei Ihnen am Anfang skeptisch gewesen, weil Sie ein «Quereinsteiger» waren. Inzwischen bezeichnet er sie aber als «Glücksgriff» für den Verein.

Carro: Ich kenne ja Rudis Meinung, und es macht mich ein wenig stolz, wenn er sie in dieser Form publik macht. Wir haben sehr eng und gut zusammengearbeitet und haben uns gut ergänzt. Die Erfahrungen, die er gemacht hat, habe ich nicht gemacht. Und die, die ich gemacht habe, hat er nicht gemacht. Von daher hat das gut gepasst. Ganz allgemein hat es mich am Anfang aber immer geärgert, wenn ich dem Klischee begegnet bin, dass man nicht in der Lage sei, einen Verein zu führen, wenn man aus der Wirtschaft kommt. Es ist schon eine andere Welt und deshalb nicht einfach. Aber wenn man bestimmte Fähigkeiten und Persönlichkeit mitbringt, ist man schon in der Lage, im Fußball eine Führungsrolle auszufüllen.

Wie haben Sie ihn überzeugt?

Carro: Ich habe ganz normal meine Arbeit gemacht und das getan, was ich tun muss als CEO. Er hat sicher registriert, dass ich vor keinem Thema weglaufe, detailversessen und immer bereit bin, Entscheidungen zu treffen. Auch welche, die vielleicht nicht populär sind. Ich habe stets das Beste für den Verein im Kopf.

Sie haben vor einiger Zeit ein Umdenken im Verein gefordert und recht forsch Titel als Ziel ausgegeben. Auch, wenn es diese noch nicht gab, haben Sie ein Umdenken gespürt?

Carro: Ich habe fest daran geglaubt, dass wir dieses Jahr die Europa League gewinnen können. Leider hat uns das Spiel gegen Köln mit der Niederlage und zwei Verletzten zwischen den Achtelfinal-Spielen gegen Bergamo sehr weh getan. Bei dem ganzen Thema geht es mir nicht darum, plump immer wieder den Gewinn eines Titels in den Raum zu stellen. Mir geht es vielmehr um eine gestiegene Erwartungshaltung an uns selbst. Diese müssen wir noch ein Stück weit entwickeln. Wenn man sich keine ehrgeizigen Ziele setzt, kann man sie auch nicht erreichen. Das ist meine Überzeugung.

Das heißt aber dann nicht, dass eine Saison mit Platz drei nicht doch unter dem Strich ein Erfolg ist, oder?

Carro: Unsere Saison mit Platz drei, der Champions-League-Qualifikation und vor allem der guten Rückrunde war zufriedenstellend. Aber als Top-Vereine in Deutschland haben Dortmund, Leipzig, wir oder jetzt auch Frankfurt, die Aufgabe, diese Liga spannender zu machen. Deshalb ist mir das Anspruchsdenken so wichtig, da nehme ich uns in die Pflicht. Ich würde gerne Meister werden, ja. Aber wenn wir das nicht können, würde ich mir zumindest wünschen, dass wir in der Lage sind, die Liga länger spannend zu halten. Dafür müssen wir aber auf jeden Fall mehr als 70 Punkte holen. Das heißt, nicht nur so eine gute Rückrunde mit 36 Punkten zu spielen, sondern zwei solche Saison-Hälften.

Sie haben von der DFL mehrfach höhere Erlöse in der Auslandsvermarktung gefordert, aber Sie sind sich auch bewusst, dass Sie in Vorleistung gehen müssen?

Carro: Wir müssen die Erlöse, die derzeit bei unter 200 Millionen Euro dümpeln, dringend und signifikant steigern, wenn wir weiter im Konzert der großen Ligen in Europa mitspielen wollen. Wir müssen dabei alle an einem Strang ziehen. Wir als Vereine mit internationalem Anspruch müssen dafür sorgen, dass Donata Hopfen gute Argumente hat, wenn sie mit ausländischen TV-Partnern spricht. Dazu gehören mehr Spannung in der Liga, Erfolge in den europäischen Wettbewerben und dass alle Vereine versuchen, Präsenz in wichtigen internationalen Märkten zu leisten, um die Liga sichtbarer zu machen und zu stärken. Wir haben kürzlich einen Beitrag geleistet, indem wir nach der Saison eine Woche in Mexiko waren. Für den Herbst laufen die Vorbereitungen zu einer weiteren Auslandsreise.

Glauben Sie, dass man die Bayern in den nächsten Jahren stoppen kann?

Carro: Irgendeinem wird es irgendwann gelingen, die Serie der Bayern zu brechen. Ich hoffe, dass es möglichst früh passieren wird. Und ich hoffe, dass wir es sein werden. Dafür arbeiten wir hart.

Aber ein Erfolg im Pokal ist wahrscheinlicher?

Carro: Wahrscheinlich ist der Blick auf den Pokal realistischer. Aber wir reden jetzt zu viel darüber. Wichtiger ist, dass man gut und hart arbeitet und damit die Wahrscheinlichkeit für maximalen Erfolg erhöht.

Rudi Völler hat dieser Tage erzählt, dass Manager Reiner Calmund ihn und Bernd Schuster in den 90ern eher aus Folklore geholt hat. Fertige Stars holt Bayer schon lange nicht mehr. Viele Talente haben sich aber gut entwickelt. Aktuell haben sich Florian Wirtz, Patrik Schick oder Moussa Diaby in den Fokus großer Vereine gespielt. Muss es der nächste Schritt sein, solche Spieler zu halten?

Carro: So ist es. Wenn wir es schaffen, unsere Schlüsselspieler wie zuletzt Patrik Schick zu halten, haben wir einen exzellent aufgestellten Kader in einem sehr professionellen und ehrgeizigen Umfeld. Damit steigen unsere Chancen, noch erfolgreicher zu sein.

Wofür soll Bayer stehen abseits von Erfolgen?

Carro: Erst mal ist mir wichtig, dass wir ein Traditionsverein sind. Unser Verein ist über 100 Jahre alt, spielt seit 1979 Bundesliga und viele Jahre international. Ich würde mich freuen, wenn wir unsere Position nicht nur international, sondern auch national weiter stärken würden. Dass man anerkennt, dass wir eine mehr als solide Fan-Basis besitzen, was sich nicht nur im Rahmen des Abschieds von Rudi Völler in einer stimmungsvollen BayArena gezeigt hat, sondern sich auch statistisch anhand der Zahl der auswärts anreisenden Fans eindeutig ablesen lässt. Wir haben eine exzellente Entwicklung genommen in dieser Hinsicht und ich hoffe, dass wir immer mehr Menschen deutschlandweit dafür begeistern können, Bayer Leverkusen zu folgen. International wollen wir unseren guten Ruf weiter stärken, Partnerschaften eingehen, Präsenz zeigen und dabei die natürliche Verbindung zum Bayer-Konzern gewinnbringend nutzen, so wie uns das in Mexiko gelungen ist.

ZUR PERSON: Fernando Carro de Prada (57) ist in Barcelona geboren und aufgewachsen. Nach dem Studium stieg er bei Bertelsmann ein, wo er zuletzt Vorstandsvorsitzender der Konzern-Tochter Arvato war. Seit dem 1. Juli 2018 fungiert er als Vorsitzender der Geschäftsführung von Bayer Leverkusen. Seit Juli 2021 gehört er dem Vorstand der European Club Association (ECA) an.

Interview: Holger Schmidt, dpa

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