Der Makel, nach der Absage des Wunschkandidaten Lucien Favre nur die zweite Wahl zu sein, kann die Vorfreude von Daniel Farke auf seinen neuen Job als Trainer von Borussia Mönchengladbach nicht trüben.
Ohne eine Spur von Lampenfieber meisterte der 45 Jahre alte Bundesliga-Debütant seine offizielle Vorstellung – und das heikle Favre-Thema: «1 A, 1 B, 1 C – das sind Kategorien, die mich nicht interessieren. Vielleicht werde ich ja die 1D-Lösung – Dauerlösung», kommentierte Farke schlagfertig.
Der Frust über die gescheiterten Verhandlungen mit dem bei den Fans beliebten ehemaligen Vereinscoach Favre scheint beim Traditionsclub überwunden. Bedenken an der Trainerwahl versuchte Roland Virkus zu zerstreuen und pries den neuen Hoffnungsträger in höchsten Tönen an. «Ich hatte Gänsehaut, als ich zum ersten Mal mit Daniel telefoniert habe. Ich war sofort angefixt», schwärmte der Sportdirektor und gab Einblick in die Suche der vergangenen Tage. «Wir haben uns mit Lucien Favre beschäftigt. Als wir gemerkt haben, dass wir das nicht verwirklichen können, habe ich schnell Kontakt zu Daniel aufgenommen. Da habe ich festgestellt, dass wir sehr viele Schnittmengen haben.»
Farke ist ein Freund gehobener Fußball-Kultur
Der im westfälischen Büren geborene Farke machte sich vor allem durch die Arbeit bei Norwich City einen Namen und gilt als Freund gehobener Fußball-Kultur. Zweimal führte er die «Canaries» in die englische Premier League. Zuletzt hatte Farke bei FK Krasnodar in Russland angeheuert, den Job aber Anfang März wegen der russischen Invasion in die Ukraine wieder aufgegeben, ohne ein Pflichtspiel mit der Mannschaft absolviert zu haben. Erste Trainererfahrungen sammelte Farke zwischen 2009 und 2017 als Trainer des SV Lippstadt und der zweiten Mannschaft von Borussia Dortmund.
Aus seinem Stolz über die Offerte der Gladbacher machte der Nachfolger von Adi Hütter am Sonntag keinen Hehl: «Dieser Verein hat eine wahnsinnige Tradition mit Trainer -und Spielerlegenden. Es ist eine Ehre und macht ein Stück weit demütig.» Ähnlich wie Virkus sprach auch Farke von großen Schnittmengen: «Ich nehme nur Projekte an, von denen ich absolut überzeugt bin. In diesem Fall hatte ich das Gefühl, total stimmig mit den Werten und der Art und Weise von Borussia zu sein.»
Welchen Fußball er vom neuen Trainer erwartet, hatte Virkus bereits bei der Mitgliederversammlung vor knapp einer Woche zum Ausdruck gebracht und dabei eine Abkehr vom Dogma der Leipziger Schule mit intensivem Pressing und schnellem Umschaltspiel angedeutet: «Aktivität gehört im modernen Fußball dazu, sollte aber niemals das dominante Merkmal sein. Technisch guter Fußball, viel Ballbesitz, eine hohe Spielintelligenz – das ist Borussia Mönchengladbach.»
«Es wäre falsch, ein zu euphorisches Ziel auszugeben»
Mit dieser Vorgabe kann Farke gut leben. «Gladbach steht für Ballbesitz und Dominanz auf dem Platz, für Kreativität und Spielfreude. Da finde ich mich mit meiner Überzeugung sehr gut wieder.» Ein radikaler Umbau des Kaders sei zur Umsetzung dieser Philosophie nicht nötig. «Ich bin davon überzeugt, dass wir eine sehr gute Basis haben. Aber natürlich brauchen wir einen guten Transfersommer und müssen gute Entscheidungen treffen.» Viel wird davon abhängen, wie Profis wie Ramy Bensebaini, Jonas Hofmann, Marcus Thuram, Alassane Pléa und Breel Embolo ihre Zukunft planen.
Eine Rückkehr des Tabellen-Zehnten der vergangenen Spielzeit nach Europa wollte Farke den Fans bei aller Aufbruchstimmung jedoch nicht versprechen. «Die letzten 18 Monate waren nicht ganz einfach für Gladbach», sagte er mit Bezug auf die Trennung des Clubs von den Trainern Marco Rose und Hütter sowie den Rückzug von Sportchef Max Eberl. «Es wäre falsch, ein zu euphorisches Ziel auszugeben. Zu sagen, wir drücken einen Knopf und spielen die Liga in Grund und Boden. Das steht uns nach der vergagenen Saison nicht zu. Da steht uns gesunder Realismus zu.» Virkus sehnt mehr Ruhe herbei: «Wir wollen eine neue Ära beginnen, aber das braucht Zeit.»