Bei diesem heiklen Thema winkt Sara Doorsoun in Interviews meist ab. Ob sie es als Tochter eines Iraners und einer Türkin einst mit dem Fußballspielen, ihrer großen Leidenschaft, besonders schwer hatte?
Nein, sie selbst nicht. Da verweist die Vize-Europameisterin – eine von derzeit nur zwei deutschen Nationalspielerinnen mit Migrationshintergrund – lieber auf ihre Freundin Tugba Tekkal. Die 37-Jährige kurdisch-jesidischer Abstammung trainiert an diesem Nachmittag auf einem Sportplatz in Köln mal wieder mit einigen Mädchen, deren Namen und Gesichter teilweise lieber nicht in der Öffentlichkeit auftauchen sollten. Weil sie sonst zu Hause mächtig Ärger bekommen könnten.
Den allerdings kann Tekkal, deren Vornamen Tugba man Tuba ausspricht und die man getrost als Menschenrechtsaktivistin bezeichnen kann, fast immer irgendwann ausräumen. So wie bei der 16-Jährigen aus dem Irak, die nun schon seit sechs Jahren bei den Scoring Girls kickt. «Fußball macht mir mehr Spaß als alles andere», sagt sie, bevor sie auf den Rasen läuft. «Und mit Tugba kann man über alles reden.»
Einst marschierte Tekkal ins Flüchtlings-Wohnheim ihrer Familie und überzeugte deren Eltern, dass die Tochter kicken darf. Heute spielt das Mädchen zusätzlich auch in einem ganz normalen Verein, Vater und Mutter schauen dann oft stolz zu. «Als ich mal keine Lust hatte, ins Training zu gehen, da hat mich meine Mutter gezwungen», erzählt die 16-Jährige und lacht.
Heimlich Fußball gespielt
Tekkal musste heimlich Fußball spielen, bis sie 16 war. Dennoch brachte sie es bis zur Bundesliga-Spielerin beim Hamburger SV und 1. FC Köln. Ihre Eltern stammen aus der Osttürkei und wurden als Kurden und Teil der jesidischen Glaubensgemeinschaft verfolgt. Tekkal ist in Hannover geboren und aufgewachsen, mit neun Geschwister und «in Unfreiheit», wie sagt. Mit Anfang 20 ging sie nach Hamburg. «Unverheiratet», erzählt sie mit blitzenden Augen und breitem Grinsen und streicht sich ihre schwarz glänzenden Locken aus dem Gesicht, «das war natürlich ein Riesenthema in der Familie.» Aber sie hege keinen Groll gegen ihre Eltern: «Bildung war ihnen wichtig, aber auf Sportvereine wären sie nie gekommen.»
Mit ihren Schwestern gründete Tugba Tekkal 2015 Hawar.help, um auf den Genozid an den Jesiden aufmerksam zu machen. «Auf der Asche eines Völkermordes», wie sie sagt. Düzen Tekkal ist die Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation. Die Jesiden sind eine ethnisch-religiöse Minderheit im Norden von Irak und Syrien und in der südöstlichen Türkei, seit Jahren verfolgt von der Terrormiliz Islamischer Staat – wie beim Angriff auf die Region um das Sindschar-Gebirge 2014.
Bis heute hausen viele Überlebende im kurdischen Norden des Irak in Camps. Auch dort ist Hawar.help, 2020 vom Deutschen Fußball-Bund mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet, mit dem Mädchen- und Frauenfußball-Projekt Scoring Girls tätig. Da hört Tekkal schon mal Sprüche wie: «Ihr verderbt uns unsere Töchter.»
Acht Standorte insgesamt
Zwei Standorte im Irak, drei in Köln, vier in Berlin. Insgesamt über 250 Kickerinnen aus etwa 15 Nationen, zwischen zehn und 30 Jahre alt. «Mädchen, die in ihren Herkunftsländern nicht die Möglichkeit hatten, Fußball zu spielen beziehungsweise denen es verboten war», erklärt Tekkal. «Und die das Gefühl hatten, etwas Falsches zu tun, wenn sie es machten. Oder das Gefühl, Verrat an ihren Eltern zu betreiben.» Das Angebot richte sich auch an Mädchen, die in Deutschland geboren sind und «trotzdem das Gefühl haben, nicht dazuzugehören».
Aber es ist viel mehr als Fußball spielen: Hilfe bei Hausaufgaben, bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz und bei Behördengängen. Und Tekkal und ihre Kolleginnen versuchen, die Mädchen mit Vorbildern zusammenzubringen aus allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen. Mit selbstbewussten und selbstbestimmten Frauen mit Zuwanderungsgeschichte oder bekannten wie EM-Star Lena Oberdorf, die schon bei den Scoring Girls in Berlin war. In Köln gibt es zudem eine Patenschaft mit den Bundesliga-Frauen des 1. FC Köln.
Über allem steht für Tekkal, die Eltern mitzunehmen bei ihrem Projekt. «Sie sagen uns oft, ihre Mädchen dürfen nur Fußball spielen, wenn sie bei euch spielen. Weil sie beispielsweise wissen, dass wir nur Trainerinnen haben. Sie vertrauen uns, weil wir viele Gespräche mit ihnen geführt haben, weil wir ihre Sprache sprechen.»
DFB: «Ein Riesenpotenzial»
Der DFB bemüht sich schon länger um weiblichen Nachwuchs mit Migrationshintergrund, zum Beispiel beim Integrationsprojekt Kicking Girls. In Familien mit traditionellen Strukturen gebe es oftmals noch viele Vorbehalte, Mädchen Fußball spielen zu lassen, sagt Vizepräsidentin Sabine Mammitzsch. Vor allem, wenn sie in jungen Jahren zusammen mit Jungs spielen. Dazu käme Druck von Verwandten und Bekannten. «Natürlich ist das ein Riesenpotenzial. Aber uns fehlen einfach noch die Menschen, die diese jungen Sportlerinnen begleiten. Vor allem Trainerinnen.»
Solche wie Tugbar Tekkal, die bei der Bildungsinitiative GermanDream angestellt ist. «Die größte Angst bei den Eltern ist die Entwurzelung», sagt sie. «Es ist ganz wichtig, dass man ihnen zum einen erzählt, dass Integration keine Einbahnstraße ist. Und dass sie zum anderen auch ihren Töchtern Türen aufmachen, wie sie es bei ihren Söhnen machen.»
Bisher kommen nur wenige Spielerinnen mit Migrationshintergrund ganz oben an im Fußball, in der Bundesliga oder gar im Nationalteam. Im Land des Europameisters ist das nicht anders: Als Englands Frauen bei der Heim-EM im Juli triumphierten, kam dort diese Debatte auf. Im Gegensatz zur Männer-Auswahl seien ethnische Minderheiten da kaum vertreten. Man sehe nur lauter «blonde Pferdeschwänze», schrieb die Zeitung «The Times».
Sara Doorsoun, Abwehrspielerin von Eintracht Frankfurt, wurde nach eigenen Worten «sehr westlich erzogen». Es sei nie ein Thema gewesen, dass sie nicht Fußball spielen durfte. «Dafür bin ich auch sehr dankbar, denn ich weiß ja, dass es noch viele Mädchen gibt, die dafür kämpfen müssen», sagte sie mal im Interview der «Frankfurter Rundschau».
Beim EM-Spiel von Deutschland gegen Finnland saß Tekkal mit drei Mädchen der Scoring Girls im Stadion von Milton Keynes. Als Doorsouns Clubkollegin Nicole Anyomi, die einen Vater aus Togo und eine Mutter aus Ghana hat, eingewechselt wurde, stiegen einem der Mädchen die Tränen in die Augen, erzählt Tekkal. Als Anyomi dann auch noch das 3:0 schoss, war es um die Fassung ihres Schützlings vollends geschehen. Warum sie denn weine? «Weil sie aussieht wie ich», sagte das Mädchen. «Dann könnte ich das ja auch schaffen.»